Von Eidechsen und Liebestränken
Dokumente der spanischen Inquisition offenbaren einen kulturellen Schmelztiegel im Manila des 17. Jahrhunderts
Während ihrer fast 400-jährigen Dauer war die spanische Inquisition verantwortlich für die Verfolgung tausender Menschen, die im spanischen Reich lebten. Das Personal der spanischen Inquisition bestand aus einer hochqualifizierten und strengen theokratischen Rechtsprechung, die sich bemühte, „Verbrechen gegen den Glauben“ zu identifizieren und zu kategorisieren sowie zu verstehen, warum die von ihr angeklagten Personen Verbrechen begingen.
Jahrzehntelang waren die Dokumente der Inquisition eine Bereicherung für Historiker:innen, die daran arbeiteten eine „Geschichte von unten“ zu schreiben, eine Geschichte vom Alltag der Menschen, die oft keine schriftlichen Aufzeichnungen über sich oder ihre Handlungen hinterließen. In anderen Worten: die Geschichte der meisten von uns. Aktuell wirft ein neuer Artikel im Journal of Social History einen genauen Blick auf genau diese Aufzeichnungen und zeigt einen wiederstandsfähigen Markt für lokales Wissen in einem frühen Zentrum des globalen Handels.
Der Artikel „Of Two-Tailed Lizards: Spells, Folk-Knowledge, and Navigating Manila, 1620–1650” (Von Eidechsen mit 2 Schwänzen: Zauberei, Volkswissen und Navigation in Manila, 1620 - 1650) berichtet von fast 100 Verurteilungen wegen des minderen Vergehens der Zauberei (hechicería), die zwischen 1620 und 1650 bei der philippinischen Abteilung der mexikanischen Inquisition angezeigt wurden. Hauptautor Dr. David Max Findley von der isoTROPIC- Forschungsgruppe, argumentiert, dass diese Aufzeichnungen eine alltägliche Begebenheit in Manila aufzeigen: den Austausch lokalen Wissens zwischen verschiedenen Völkern.
Findley sagt über die Dokumente: „Die Inquisitoren sammelten sowohl jedes anzügliche Detail, das sie über die gekauften Zaubereien finden konnten, als auch Informationen über die Ankläger und Beschuldigten. Die Inquisitoren notierten Namen, Alter, „Rassen“ (basierend auf spanischen Kategorisierungen verschiedener Völker), Geburtsorte und Berufe sowie sozialen Status. Wenn alle diese Informationen zusammen betrachtet wurden, zeigten sich Spuren eines großen, rechtswidrigen Marktes, an dem Völker aus allen Kontinenten beteiligt waren.“
Die Grundlage dieser Märkte waren Zaubersprüche, die die grundlegendsten Bedürfnisse ansprachen - Glücksamulette, Heilmittel, Prophezeiungen und vor allem Liebeszauber. Zaubersprüche waren in der gesamten Bevölkerung beliebt: bei Soldaten, Matrosen, Frauen und anderen Mitgliedern des spanischen Überseeimperiums, deren sozialer Status von der kolonialen Elite bis zum Diener reichte. Die Zaubersprüche wurden hauptsächlich von indigenen philippinischen Völkern verkauft, deren Präparate auf regionalen Pflanzen, Tieren und Ritualen basierten.
Auch andere asiatische Völker in Manila, darunter Bewohner der Molukken, sowie aus Indien und Japan, verkauften magische Heilmittel. Einige imitierten philippinische Zaubersprüche, während andere Heilmittel aus ihren eigenen Herkunftsländern anboten. Dabei stützten sie sich auf den Sinn ihrer Kunden für Exotik, um ihre Zaubersprüche als wirksamer darzustellen. Einige Zaubersprüche, die außerhalb der Mauern von Manila verkauft wurden – im Bagumbayan Bezirk außerhalb der Mauern (Extramuros districts) – begannen sogar, philippinische Rituale mit spanisch-katholischen Beschwörungen zu vermischen.
Aufzeichnungen der Inquisitionen sind verständlicherweise eine voreingenommene Quelle, die das Misstrauen der Autoren gegenüber der nicht-weißen Bevölkerung, Nicht-Europäern und Mitgliedern der unteren Klassen der Kolonialordnung widerspiegelt. Trotz ihrer Einschränkungen sind diese Dokumente nach Findleys Ansicht nicht nur wegen ihrer Berichte, sondern auch wegen ihrer Enthüllungen ein Studium wert.
„Der Hexenmarkt von Manila war herausragend weltoffen, selbst für die Standards des 21. Jahrhunderts. Er verband Menschen aus ganz Asien, Europa, Nord-, Mittel- und Südamerika und sogar Ostafrika. Er war der Erste seiner Art und widerspricht der typischen Geschichte kolonialer Gesellschaften, in der Besiedler nicht mit kolonisierten Völkern sprechen oder von ihnen lernen. Hier ist zu sehen, dass Wissen während riskanten Handelsgeschäften in beide Richtungen ausgetauscht wurde. Diese Inquisitionsdokumente bieten einen verlockenden Einblick in die Komplexität und die Fülle vergangener Leben im ersten globalen Umschlagplatz.“