Die Knochen von Ratten als archäologische Quelle

Skelettreste der Pazifischen Ratte beleuchten 2000 Jahre menschlichen Einfluss auf die Inselwelt Polynesiens

4. Juni 2018

Eine ungewöhnliche Quelle hat ein Forschungsteam des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena und der Universität von Kalifornien (Berkeley) genutzt, um die Auswirkungen früher menschlicher Aktivitäten auf die Ökosysteme von Inseln zu untersuchen: die Skelettreste Pazifischer Ratten, welche bereits in den 1970 er Jahren bei archäologischen Grabungen auf sieben Inseln Polynesiens geborgen wurden. Durch die Analyse der zwischen 1000 und 3000 Jahre alten Knochen gelang es dem Team, die Ernährung der Ratten zu rekonstruieren und darüber auch die Veränderungen, die der Mensch während dieser Zeit in den Ökosystemen der Inseln herbeiführte - einschließlich des Aussterbens heimischer Arten, Änderungen in der Nahrungskette und der Bodennährstoffe. Über ihre Arbeit berichten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der neuesten Ausgabe der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS).

Ratten leben als sogenannte Kulturfolger bzw. kommensale Arten stets im engen Kontakt mit dem Menschen und sie gelangten – entweder gezielt als Nahrungsmittelreserve oder aber als „blinde Passagiere“ – gleichzeitig mit den Menschen auf die polynesischen Inseln. Die Ernährung solcher Kulturfolger fußt einerseits auf dem Nahrungsmittelangebot der Menschen, wird aber durch natürliche Ressourcen der Umgebung ergänzt. Damit bietet die Ernährung der Kulturfolger nicht nur Einblicke in die Ernährung der Menschen jener Zeit, sondern auch in die natürlichen Ressourcen des Ökosystems.

Die Skelettreste der Ratten, wurden mittels Massenspektroskopie auf Isotope untersucht. Dabei gibt die Kohlenstoffisotopenanalyse von Proteinen, welche in archäologischen Knochen konserviert sind, Auskunft über die Arten von Pflanzen, die mit der Nahrung aufgenommen wurden. Die Analyse der Stickstoffisotope weist dagegen auf die Position des Tieres in einem Nahrungsnetz hin. Stickstoffisotope reagieren außerdem auf Feuchtigkeit, Bodenqualität und Landnutzung.

Die Ergebnisse der Analyse zeigen die Auswirkungen von Prozessen wie der Rodung von Waldflächen, der Jagd auf heimische Vogelarten (insbesondere Landvögel und Seevögel) und das Aussterben heimischer Tierarten sowie die Entstehung neuer, landwirtschaftlich geprägter Landschaften auf die Nahrungskette und die Ressourcenverfügbarkeit.

"Wir haben zahlreiche starke archäologische Belege dafür, dass Menschen bereits seit dem Spätpleistozän die Ökosysteme verändert haben", sagt Erstautorin Jillian Swift vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte. "Die Herausforderung besteht darin, Datensätze zu generieren, die diese Veränderungen auf eine Weise quantifizieren, dass wir archäologische und gegenwärtige Datensätze miteinander vergleichen können. Dies soll auch dabei helfen, die Auswirkungen menschlicher Eingriffe in die Ökosysteme besser prognostizieren zu können."

Studienleiter Prof. Patrick V. Kirch von der Universität von Kalifornien, Berkeley, der die Ausgrabungen auf Tikopia und Mangareva leitete, fügt hinzu: „Die neuen Methoden der Isotopenanalyse erlauben es uns, quantitativ zu erfassen, die grundlegend menschliches Handeln die Ökosysteme der Inseln verändert hat. Das dies einmal möglich sein könnte, habe ich mir während der Ausgrabungen in den 1970er Jahren kaum träumen lassen.“

"Kommensale Arten wie die pazifische Ratte werden oft bei der Auswertung archäologischer Assemblagen vergessen. Doch obwohl sie im Vergleich zu domestizierten Tieren als weniger glamouröse "blinde Passagiere" gelten, bieten sie eine einzigartige Gelegenheit, die Ökosysteme und Landschaften zu untersuchen, die unsere Spezies erschaffen hat, während sie sich über auf den ganzen Planeten ausbreitete", erklärt Ko-Autor Patrick Roberts von Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte. "Die Untersuchung der Überreste kommensaler Arten mittels stabiler Isotopenanalyse macht es möglich, den Prozess der Veränderung der menschlichen Umwelt nachzuvollziehen. Und das nicht nur im Pazifik, sondern überall auf der Welt, wo diese Überreste in Verbindung mit der Landnutzung durch den Menschen gefunden werden.

"Die Studie unterstreicht, in welchem außerordentlichen Maße Menschen bereits in der Vergangenheit in der Lage waren, die Ökosysteme zu verändern und zu formen“, bemerkt Nicole Boivin, Direktorin der Abteilung für Archäologie am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte und Ko-Autorin der Studie. "Als Spezies hatten wir eindeutig schon lange die Fähigkeit, die Welt um uns herum massiv zu verändern. Was heute neu ist, ist unsere Fähigkeit, die Auswirkungen unseres Handelns zu verstehen, zu messen und zu lindern."

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