Pest erreichte schon in der Steinzeit Mitteleuropa und Teile Deutschlands

Das Pestbakterium Yersinia pestis gelangte möglicherweise bereits im Rahmen einer massiven Migration von Nomaden aus der pontisch-kaspischen Steppe nach Europa, Jahrtausende vor den ersten bekannten historischen Pestepidemien.

22. November 2017

Ein Forschungsteam unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte hat erstmals europäische aus dem späten Neolithikum und der frühen Bronzezeit (vor 4.800 bis 3.700 Jahren) stammende Genome des Pesterregers Yersinia pestis sequenziert. Dies gelang mithilfe von alter DNA, die aus menschlichen Skeletten gewonnen wurde, darunter auch zwei, die in Bayern im Raum Augsburg gefunden wurden. Die Analyse dieser Proben, die jetzt in der Fachzeitschrift Current Biology veröffentlicht wurde, legt die Vermutung nahe, dass die steinzeitliche Pest im Neolithikum im Zusammenhang mit einer massiven Einwanderung von Menschen aus der kaspisch-pontischen Steppe nach Europa gelangte.

Der Pesterreger Yersinia pestis ist für große historische Pandemien verantwortlich, darunter der berüchtigte Schwarze Tod im 14. Jahrhundert. Durch die Analyse alter Genome des Erregers hoffen die Wissenschaftler, mehr über die Geschichte und Verbreitung der Krankheit sowie die Evolution des Bakteriums zu erfahren und darüber, wie es im Laufe der Zeit virulenter, also in höherem Maße krankheitsauslösend, wurde.

Das Team analysierte für die Studie mehr als 500 Proben von Zähnen und Knochen aus Deutschland, Russland, Ungarn, Kroatien, Litauen, Estland und Lettland und untersuchte sie auf Yersinia pestis. Dabei gelang es, aus den Proben von sechs Individuen vollständige Yersinia pestis–Genome zu rekonstruieren.

Dadurch konnte die Zahl, der aus diesem Zeitraum verfügbaren Genome deutlich erhöht werden. Gleichzeitig bot sich die einmalige Gelegenheit, zu erforschen, wie sich der Krankheitserreger nach seiner Einführung in Europa verbreitete und weiterentwickelte.

Möglicherweise gelangten die Pest und Nomaden aus der Steppe in derselben Zeitperiode nach Europa

Die Analyse der durch die Wissenschaftler rekonstruierten Yersinia pestis–Genome, die außer in Bayern auch in Russland, Estland, Litauen und Kroatien gefunden wurden, ergab, dass alle eng miteinander verwandt waren. „Dies könnte bedeuten, dass die Pest in dieser Zeit mehrfach aus demselben Reservoir nach Europa gelangte, oder aber, dass sie einmal in der Jungsteinzeit nach Europa einwanderte und dort länger verblieb", erklärt Aida Andrades Valtueña vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, Erstautorin der Studie. Um zu klären, welches der beiden Szenarien wahrscheinlicher ist, untersuchte das Forschungsteam die Daten im Kontext vorliegender archäologischer und genetischer Belege für menschliche Migrationen in der gleichen Zeitperiode.

Vor rund 4.800 Jahren begann eine starke Expansion der Völker aus der kaspisch-pontischen Steppe nach Europa. Diese Menschen waren Träger verschiedener genetischer Marker, die es ermöglichen, ihre Wanderungsbewegung und ihren genetischen Einfluss, der in allen heutigen Europäern gegenwärtig ist, nachzuvollziehen. Interessanterweise datieren die ersten Hinweise auf den Pesterreger in Europa auf die gleiche Zeit wie die frühesten genetischen Einflüsse der Einwanderer aus der Steppe. "Unserer Interpretation zufolge, unterstützen die humangenetischen Daten in Kombination mit den Verwandtschaftsbeziehungen der Pesterreger aus dem späten Neolithikum und der frühen Bronzezeit die Annahme, dass Yersinia pestis vor etwa 4.800 Jahren aus der kaspisch-pontischen Steppe nach Europa eingeführt wurde. Dort etablierte das Bakterium ein lokales Reservoir, bevor es wieder zurück in Richtung Zentraleurasien wanderte", erklärt Alexander Herbig, Gruppenleiter am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte und korrespondierender Autor der Studie.

Analyse bestätigt Veränderungen in Virulenz-Genen der Pest

Die Untersuchung der Pestgenome bestätigt, dass, wie sich schon in früheren Studien zeigte, in dieser Zeit in Genen des Krankheitserregers Veränderungen aufgetreten sind, die mit seiner Virulenz zusammenhängen. Um zu klären, wie genau diese Veränderungen die Krankheit beeinflussen, sind jedoch weitere Studien erforderlich.

Es ist aber möglich, dass Yersinia pestis bereits bevor es diese Merkmale entwickelte, in der Lage war, große Epidemien auszulösen. Studienleiter Johannes Krause, Direktor der Abteilung für Archäogenetik am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte erklärt: „Die Bedrohung durch Yersinia pestis-Infektionen könnte eine der Ursachen für die erhöhte Mobilität während des späten Neolithikums und der frühen Bronzezeit gewesen sein.“ Mit anderen Worten, die Menschen aus der Steppe könnten versucht haben, durch Migration der Bedrohung durch die Pest zu entkommen. Darüber hinaus könnte die Ausbreitung der Krankheit nach Europa bei der Veränderung der Bevölkerungsstruktur Europas eine Rolle gespielt haben. „Es ist möglich, dass bestimmte europäische Populationen oder die Menschen aus der Steppe, ein anderes Resistenzniveau hatten“, erläutert Johannes Krause.

Um diese Fragen genauer beantworten zu können, wird es sowohl der Analyse weiterer Yersinia pestis-Genome als auch der Analyse menschlicher Genome aus mehreren Zeitperioden und größerer geografischer Reichweite bedürfen.

Zur Redakteursansicht