Wendepunkt in der Erforschung kultureller Prozesse
Auftakttreffen der Gesellschaft für Kulturevolution in Jena: 300 Teilnehmer aus 40 verschiedenen Ländern begründen ein neues Forschungsfeld – Jenaer MPI für Menschheitsgeschichte internationaler Vorreiter
Jena. Das Max-Planck-Institut (MPI) für Menschheitsgeschichte empfängt diese Woche 300 Teilnehmer aus 40 verschiedenen Ländern in Jena, um ein weltweit einzigarties Forum für kulturelle Forschung zu eröffnen: Die Gesellschaft für Kulturevolution (CES). Die Auftaktkonferenz der Gesellschaft betont für die Relevanz evolutionärer Ansätze sowie datenbasierter Analysemethoden bei der Erforschung kultureller Prozesse – wie Sprachweitergabe, kognitive Entwicklung oder soziale Organisation. Mit der CES-Konferenz formiert sich ein internationales Wissenschaftsfeld, das maßgeblich durch die Arbeiten am Jenaer MPI für Menschheitsgeschichte geprägt wird.
„Die Resonanz zu unserer Ausschreibung war unerwartet und völlig überwältigend“, sagt Dr. Olivier Morin, Leiter der Forschungsgruppe zu „Kognition und Tradition“ am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena und hauptverantwortlicher Organisator der Auftaktkonferenz der Gesellschaft für Kulturevolution (CES). Über 300 Forscher aus 40 verschiedenen Ländern, darunter China, Indien, Japan, Neuseeland, Russland und die USA, und aus so unterschiedlichen Disziplinen wie Anthropologie, Archäologie, Biologie, Infomatik, Linguistik, Psychologie und Religionswissenschaften, kommen diese Woche nach Jena, um an der Konferenz der erst kürzlich gegründeten Gesellschaft teilzunehmen. Für Morin und sein Team stellt die begeisterte Nachfrage derart vieler Forscher aus der ganzen Welt eine echte Belastungsprobe dar: „Diese massive Nachfrage so vieler Wissenschaftler aus so unterschiedlichen Disziplinen und Ländern zeigt deutlich, wie dringend ein umfassenderes und innovativeres Forschungsparadigma gebraucht wird, um kulturelle Fragen zu Sprache, Kognition oder Sozialstrukturen zu beantworten.“
Die Gründungskonferenz der CES bringt Wissenschaftler zusammen, die das Konzept der „Evolution“ nicht nur den Naturwissenschaften überlassen wollen. Stattdessen werden evolutionäre Prozesse zur Erforschung sprachlicher und kultureller Phänomene, wie Sprachwandel oder große Veränderungen in der sozialen Organisation von Menschen, herangezogen. Russell Gray, Direktor der Abteilung für Linguistik und Kulturevolution am MPI für Menschheitsgeschichte, hat diesen Ansatz schon seit der Institutsgründung vor drei Jahren in Jena als Methode etabliert: „Die Integration von Erkenntnissen aus unterschiedlichen Disziplinen sowie die Anwendung innovativer Methoden, etwa mit großen Datenbanken und Computermodellen, ist ein Kernelement unserer Arbeit am Institut für Menschheitsgeschichte. Ich freue mich sehr, dass sich dieser Forschungsansatz nun auch im Konferenzprogramm und damit auch in der Gesellschaft für Evolutionsforschung niedergeschlagen hat.“
Die Konferenz in Jena stellt vielfältige Fragen zur menschlichen und tierischen Kognition und Evolution, etwa inwiefern man bei Tieren auch von einer Kultur sprechen kann, welche Faktoren Sprachwandel begünstigen, oder warum es so viele Religionen mit dominanten Göttern auf der Welt gibt. Methodisch werden diese Fragen mit unterschiedlichsten Ansätzen aus den Natur- und Geisteswissenschaften, aber auch mit komplexen Datensammlungen und -analysen, untersucht. Selbstverständlich ist dies nicht unumstritten. „Große Datensammlungen, computergestützte Modelle und phylogenetische Methoden sind keine klassischen Werkzeuge, mit denen geisteswissenschaftliche Forschung gemacht wird“, sagt Gray. „Ich erwarte höchst spannende Diskussionen um unsere Ansätze und Ergebnisse.“
Morin und Gray sind sich sicher, dass ein Wendepunkt in den Sozial- und Kognitiven Wissenschaften erreicht ist. „Wir sind uns sicher, dass die Neugründung der Gesellschaft für Kulturevolution sowie auch unsere Gründungskonferenz hier in Jena eine Art Startschuss für ein ernstzunehmendes Wissenschaftsfeld sein werden, von dem noch viele spannende Ergebnisse, Projekte und Publikationen zu erwarten sind“, sagen die MPI-Forscher: „Natürlich freut es uns, dass diese Entwicklungen genau hier in Jena ihren Lauf nehmen. Damit würdigen wir nicht nur die lange Tradition Jenas als Standort für evolutionäre Forschung, sondern wir zeigen auch, dass Jena in der Gegenwart ein wichtiger Impulsgeber für moderne Evolutionsforschung ist.“