Anders klug

Es gibt nicht nur eine Art von Kognition bei Mensch und Tier: Ein Aufruf zum veränderten Denken in der Vergleichenden Psychologie

14. Juli 2020

WissenschaftlerInnen aus Jena, Leipzig und Osnabrück geben einen Rückblick auf 40 Jahre Forschung in der Vergleichenden Psychologie und fordern ein biozentrisches Verständnis der kognitiven Evolution. In einem im Journal of Intelligence veröffentlichten Artikel argumentieren die ForscherInnen, dass kognitive Studien in der Vergleichenden Psychologie oft fälschlicherweise einen anthropozentrischen Ansatz verfolgen. Das führt zu einer Überbewertung menschenähnlicher Fähigkeiten. Außerdem wird automatisch davon ausgegangen, dass kognitive Fähigkeiten bei Tieren genauso wie bei Menschen miteinander zusammenhängen. Die AutorInnen plädieren für Veränderungen in der Denkweise und neue experimentelle Ansätze. Nur so könne Tierische Intelligenz, aber auch die Evolution von Kognition besser verstanden werden.

Was macht eine Art "intelligent" und wie entwickeln sich Strategien zur Informationsverarbeitung? Was geht in den Köpfen „nicht-menschlicher Tiere“ vor, und welche kognitiven Fähigkeiten können wir als einzigartig für unsere Art beanspruchen? Dies sind einige der Fragen, mit denen sich das Fachgebiet der Vergleichenden Psychologie befasst. Aber der kürzlich im Journal of Intelligence erschienene Artikel reiht sich in eine wachsende Literatur ein, die argumentiert, dass Studien der Kognition durch Anthropozentrismus behindert werden und dass damit das Gesamtbild der kognitiven Evolution nicht erfasst wird.

Auf der Grundlage von 40 Jahren wissenschaftlicher Forschung und Fallstudien an drei verschiedenen Tierarten identifiziert die aktuelle Arbeit zwei Hauptprobleme, welche die Forschung in der Vergleichenden Psychologie behindern.

Das erste davon ist die Annahme, dass die menschliche Kognition der Standard ist, an dem die Kognition von Tieren gemessen werden sollte. Die menschliche Kognition gilt allgemein als die flexibelste, anpassungsfähigste Form von Intelligenz. Dabei werden die Fähigkeiten anderer Arten danach bewertet, inwieweit sie den kognitiven Fähigkeiten des Menschen entsprechen. Ein solcher Ansatz neigt dazu, menschenähnliche kognitive Fähigkeiten über zu bewerten und könnte kognitive Fähigkeiten übersehen, die in der menschlichen Psychologie nur eine geringe oder gar keine Rolle spielen.

"Dieser Ansatz kann nur eine restriktive, anthropozentrische Sicht auf die Evolution von Kognition hervorbringen. Diese ignoriert aber die unglaubliche Vielfalt der kognitiven Fähigkeiten in der Tierwelt.", sagt Juliane Bräuer, Leiterin der HundeStudien am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte.

Stattdessen sollte sich die Kognitionsforschung mehr an der Lehre Darwins orientieren und einen biozentrischen Ansatz verfolgen, bei dem jede untersuchte Art auch für sich betrachtet wird.

"Wenn wir Darwins Denken wieder mehr auf die Vergleichende Psychologie anwenden und nicht so sehr den ‚Maßstab' der menschlichen Intelligenz, dann können wir die kognitive Evolution besser begreifen. Wir können die evolutionären, entwicklungsbedingten und umweltbedingten Voraussetzungen aufdecken, die zu bestimmten Fähigkeiten einer Art führen, aber auch zu analogen Fähigkeiten bei verschiedenen Arten.", fügt Natalie Uomini, Koautorin des Artikels, hinzu.

Um die anthropozentrische Sichtweise zu umgehen, plädieren die AutorInnen für eine stärkere Konzentration auf kognitive Fähigkeiten, bei denen Tiere den Menschen übertreffen. Sie diskutieren Kognitionsstudien, in denen Tiere besser abschneiden als Menschen, zum Beispiel in der Navigation, in der Kommunikation, bei der Mustererkennung und im statistischen Denken.

Das zweite Problem, das angesprochen wird, ist die Annahme, dass sich die Kognition als eine Art Paket von Fähigkeiten entwickelt, die automatisch auf die gleiche Weise zusammenhängen wie beim Menschen. Wenn Tiere zum Beispiel Werkzeuge benutzen, wird davon ausgegangen, dass sie auch kausale Zusammenhänge verstehen, wie das beim Menschen der Fall ist. Die AutorInnen beleuchten in ihrem Artikel verschiedene Hypothesen aus der Psychologie, wie die Hypothese der Sozialen Intelligenz, die Domestikationshypothese und die Hypothese der Kooperativen Jungenaufzucht. Sie argumentieren, dass keine von ihnen das Gesamtbild erklären kann – nämlich wie sich Kognition in allen Tierarten entwickelt hat.

Anstelle des Pakets miteinander zusammenhängender Fähigkeiten – die durch einen evolutionären Druck entstanden sind, erinnern die AutorInnen an andere Erklärungsansätze. Kognition lässt sich am besten als Ergebnis arttypischer Anpassungen an die gesamte ökologische und soziale Umwelt erklären.

"Damit wir der faszinierenden Vielfalt des tierischen Geistes Rechnung tragen, sollte sich die Vergleichende Psychologie auf Fähigkeiten konzentrieren, die für eine bestimmte Art ökologisch relevant sind", sagen Bräuer und Uomini.

Im Artikel werden drei entfernt verwandte Arten - Schimpansen, Hunde und Neukaledonische Krähen diskutiert. Diese sind mindestens in einem kognitiven Bereich hoch entwickelt. In anderen Bereichen schneiden sie allerdings überraschend schlecht ab – obwohl beim Menschen davon ausgegangen wird, dass diese Bereiche unbedingt zusammengehören.

Der Artikel enthält auch Empfehlungen, um zukünftige Studien in der Vergleichenden Psychologie für die jeweilige Art ökologisch relevant zu machen. Es gilt differenzierte Aufgaben für jede Art zu stellen. Dabei ist zu beachten, mit welchen Sinne die jeweiligen Tiere ihre Umwelt vor allem wahrnehmen. Beispielsweise nehmen Hunde ihre Umwelt vorwiegend über den Geruchssinn wahr, in Kognitionstests wurden sie bislang aber fast immer visuell getestet.

In Deutschland, wo die AutorInnen des Artikels arbeiten, ist die Vergleichende Psychologie ein wenig bekanntes Gebiet. Die ForscherInnen hoffen deshalb, Interesse und Wachstum in diesem Fachgebiet anzuregen. Künftige Kognitionsstudien sollten sich jeder Art um ihrer selbst willen widmen, was zu einer sachdienlicheren und ganzheitlicheren Perspektive auf die Fähigkeiten der Tiere führen wird. Kurz gesagt: es gibt nicht nur eine Art der Kognition.

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