Schmelzeis der Mongolei gibt Aufschluss über die Geschichte der Rentierhaltung

Untersuchungen von Eisflächen in der nördlichen Mongolei liefern erste archäologische Einblicke aus der Region und bringen empfindliche organische Gegenstände ans Licht

20. November 2019

Die Folgen der Erderwärmung sind in der Mongolei und Nordostasien besonders stark zu spüren. Die steigenden Temperaturen gewähren einen Einblick in die Geschichte der Region während sie zugleich ihre Zukunft bedrohen. In einer neuen Studie, veröffentlich in PloS One, berichten Forscher, dass die nicht-glazialen Eisflächen zum ersten Mal seit Jahrzehnten zu schmelzen beginnen und dadurch seltene Artefakte zu Tage fördern, welche einige der ersten archäologischen Daten für die Region liefern.

Die Wirtschaft der Mongolei basiert vorwiegend auf einer stark ausgeprägten und dynamischen Viehwirtschaft. Ebenso arbeiten in diesem Breitengrad, und damit dem niedrigsten Breitengrad überhaupt, noch Rentierzüchter; die Tsaatan. Die Tsaatan leben in der alpinen Tundra (Mongolisch: Taiga), entlang der russischen Grenze in der Provinz Khuvsgul. Es besteht zwar Grund zur Annahme, dass die Rentierzucht und die Nutzung der reichen Wildressourcen des Gebietes eine wichtige Rolle in der Geschichte und Vorgeschichte der Region gespielt haben, das raue Klima und die aktive Geologie des Gebietes führten jedoch dazu, dass nur wenige archäologische Materialien bis heute erhalten blieben. In der aktuellen Studie präsentiert ein internationales Forschungsteam neue Beweise für die historische Werkzeugherstellung und die Nutzung von wilden Ressourcen. Sehr wahrscheinlich enthalten die Eisflächen weitere Hinweise auf die vorneuzeitliche Rentierdomestizierung in der Mongolei und Innerasien.

Schnee – und Eisfelder könnten die Geschichte der Taiga entschlüsseln

„Schnee und Eis ließen alles unter ihnen gefrieren und konservierten so unsere einzigen archäologischen Datenquellen,“ sagt der Hauptautor William Taylor vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte und der University of Colorado-Boulder. Taylor und seine Kollegen sind die ersten, die Untersuchungen solcher Art in der Region durchführten. Sie stießen dabei auf etliche hölzerne Gegenstände, darunter ein Objekt, welches von den Einheimischen als Angelrute aus Weide identifiziert werden konnte.

Solche Gegenstände erhalten wichtige Informationen über traditionelle Techniken und lassen vermuten, dass zukünftige Arbeiten anhaltende Fragen, beispielsweise, wann Rentiere zum ersten Mal in diese Region kamen, beantworten könnten. Manche der Fundstücke konnten von den Forschern auf die Mitte des 20. Jahrhunderts datiert werden, was bedeutet, dass das Eis auf ein seit Jahrzehnten nicht mehr erreichtes Niveau abschmilzt.

Schmelzeis als Chance für Wissenschaftler, als Herausforderung für die Hirten

Obwohl das schmelzende Eis Hinweise über die Vergangenheit der Region liefert, stellt es für die Hirten der Rentiere eine ernsthafte Bedrohung dar. Rentiere benötigen Schnee und Eis, um ihre Körpertemperatur zu regulieren und krankheitsübertragende Insekten zu vermeiden. Des Weiteren ist das Schmelzwasser eine wichtige Wasserquelle für sowohl Menschen als auch Tiere. Schmilzt das Eis, an manchen Stellen zum ersten Mal, wird die Rentierzucht praktisch unmöglich und die empfindliche Ökologie der Tundra in der nördlichen Mongolei dauerhaft beeinflussen.

„Der Zugang zu den Eisfeldern ist für die Gesundheit und das Wohl der Tiere in vielen Bereichen entscheidend,“ so Jocelyn Whitworth, tierärztliche Forscherin und Koautorin der Studie. „Verschwindet das Eis so wird das die Gesundheit und Hygiene der Rentiere gefährden, die Tiere vermehrt Krankheiten aussetzen und das Wohl aller Menschen, die von den Rentieren abhängen beeinträchtigen.“

Es ist bereits jetzt absehbar, dass die globale Erderwärmung sowohl für die Hirten als auch für das archäologische Erbe der Mongolei eine folgenreiche Herausforderung sein wird. Besonders besorgt äußert sich Dr. Julia Clark, die Kodirektorin des Projektes:“Archäologie ist nicht erneuerbar. Ist das Eis einmal geschmolzen und die Überreste verschwunden, sind sie unwiederbringlich.“  Das Team verdoppelte seine Bemühungen für das kommende Jahr, in der Hoffnung, die seltenen und gut erhaltenen Fundstücke zu retten, um sie für die weitere Forschung über die Herkunft der einzigarten Tierhaltung in der Mongolei weiter zu benutzen.

Den vollständigen Artikel lesen Sie in PLOS ONE

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