Biomolekulare Analysen zeigen, einige der mysteriösen "Roopkund"-Skeletten waren mediterraner Abstammung

Der Roopkund-See im indischen Himalaya-Gebirge galt bislang als Schauplatz einer einzigen Katastrophe mit Hunderten von Toten. Die erste vollständige Analyse alter Genome in Indien zeigt aber, dass dort Menschen unterschiedlicher genetischer und kultureller Gruppierungen im Abstand von rund 1000 Jahren starben.

20. August 2019

Die groß angelegte Studie eines internationalen Forschungsteams unter maßgeblicher Beteiligung der Abteilung für Archäologie des Jenaer Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte hat gezeigt, dass die geheimnisvollen Skelette des Roopkund-Sees im indischen Himalaya-Gebirge, von denen man bislang annahm, dass sie von einem einzigen katastrophalen Ereignis herrühren, zu genetisch sehr unterschiedlichen Gruppen gehörten, die in unterschiedlichen Perioden starben, von denen wenigstens zwei rund 1000 Jahre auseinanderliegen.. An der Studie, die diese Woche in Nature Communications erscheint, waren 28 Forschende aus Institutionen in Indien, den Vereinigten Staaten und Europa beteiligt.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden rund um die Ufer und auf dem Grund des Roopkund-Sees Hunderte von Skelette entdeckt, die dem auf mehr als 5000 Meter über dem Meeresspiegel gelegenen See die Spitznamen Skeleton Lake oder Mystery Lake einbrachten. „Es gibt viele unterschiedliche Annahmen darüber, wer diese Menschen waren, was sie zum Roopkund-See führte und warum sie hier starben“, sagt Seniorautor Niraj Rai, Wissenschaftler am Birbal Sahni Institute for Palaeosciences in Lucknow, Indien. Er forscht an den Skeletten seitdem er nach seiner Promotion am CSIR Centre for Cellular and Molecular Biology (CCMB) in Hyderabad, Indien, tätig ist.

Die aktuelle Publikation, das Ergebnis einer mehr als zehnjährigen Forschungsarbeit, stellt die erste vollständige Analyse alter Genome aus Indien dar und zeigt, dass die Geschichte des Ortes weit komplexer ist, als bislang angenommen.

Erster Bericht über die Analyse alter DNA aus Indien

Die Analyse des Erbguts, das aus den Skeletten des Roopkund-Sees gewonnen wurde, ist der erste Bericht über alte DNA aus Indien überhaupt und zeigt, dass die menschlichen Überreste mindestens drei verschiedenen genetischen Gruppen zugeordnet werden können. „Erst durch die Sequenzierung der mitochondrialen DNA von 72 Skeletten wurden wir auf deren unterschiedliche Abstammungen aufmerksam. Obwohl viele der Individuen mitochondrielle Haplogruppen besitzen, die typisch für die aktuelle Bevölkerung Indiens sind, konnten wir dennoch eine große Gruppe mit Haplogruppen feststellen, die charakteristisch für Bevölkerungsgruppen aus West-Eurasien sind“, so Kumarasamy Thangaraj, Senior-Koautor der Studie. Er startete das Projekt um Roopkund vor mehr als zehn Jahren, gemeinsam mit dem mittlerweile verstorbenen Direktor Lalji Singh des CCMB in einem eigens hierfür errichteten DNA-Labor.

Vollständige Genomsequenzierungen von 38 Individuen ergaben, dass mindestens drei verschiedene genetische Gruppen unter den Skeletten von Roopkund sind. Die erste Gruppe besteht aus 23 Individuen, die mit Menschen aus dem heutigen Indien verwandt sind. Jedoch gehörten sie nicht einer einzigen Population an, sondern stammten abermals von vielen verschiedenen Gruppen ab. Die zweitgrößte Gruppe (14 Personen) weist eine Abstammung aus dem Mittelmeerraum auf und ist genetisch mit den heutigen Bewohnern Griechenlands und Kretas verwandt. Die DNA eines weiteren Individuums weist auf einen Ursprung in Südostasien hin. „Die Genetik der Skelette überraschte uns sehr. Dass hier Individuen aus dem Mittelmeerraum gefunden wurden, lässt vermuten, dass der Roopkund-See nicht nur von lokalem Interesse war, sondern dass Menschen aus der ganzen Welt hierherkamen“, sagt die Erstautorin der Studie, Éadaoin Harney von der Harvard University in Cambridge, USA.

Ernährungsanalyse der Roopkund-Individuen bestätigt unterschiedliche kulturelle Identitäten

Die Rekonstruktion der Ernährung mithilfe der Analyse stabiler Isotopen beweist auch, dass die Skelette unterschiedlichen kulturellen Gruppierungen angehörten. „Individuen, die der Gruppe aus Indien angehören, hatten eine stark wechselnde Ernährung – die in unterschiedlichem Maße auf Hirseanbau basierte- was in Übereinstimmung mit den genetischen Ergebnissen steht, dass sie einer Vielzahl von sozioökonomischen Gruppen aus Südasien angehörten.“, so Senior-Koautorin Ayushi Nayak vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena, Deutschland.

Die Kohlenstoffdatierung liefert ein weiteres wichtiges Ergebnis der Studie. Die Menschen verstarben nicht, wie bisher angenommen, zur selben Zeit an dem See, sondern die beiden größten Gruppen erreichten den See in einem zeitlichen Abstand von knapp 1000 Jahren. So trafen die Angehörigen der indischen Gruppe bereits im 7. bis 10. Jahrhundert dort ein, während die beiden anderen Gruppen, bei denen es sich sehr wahrscheinlich um Reisende handelte, erst im 17. bis 20. Jahrhundert an den Roopkund-See gelangten. „Diese Ergebnisse demonstrieren die Stärke der Radiokarbonmethode, da bislang angenommen wurde, dass sämtliche Skelette auf ein einziges Ereignis zurückzuführen sind.“, sagt Senior-Koautor Douglas J. Kennett von der University of California in Santa Barbara, USA.

"Was die Menschen letztendlich hierher führte und wie sie zu Tode kamen, bleibt bislang unklar", ergänzt Rai, "Wir hoffen, dass dieser ersten Untersuchung viele weiter folgen werden, um diese Fragen zu klären."

"Durch die Durchführung biomolekularer Analysen, wie die Rekonstruktion der Ernährung mittels der Analyse der stabilen Isotope, der Analyse alter DNA und der Datierung mittels Radiokarbonmethode, konnten wir erkennen, dass die Geschichte des Roopkund-Sees komplexer ist, als wir es jemals erwartet hatten. Es stellt sich unweigerlich die Frage, wie Migranten aus dem östlichen Mittelmeerraum, mit einem sehr untypischen Abstammungsprofil für diese Region, hierher gelangten und an diesem Ort verstarben", fasst Senior-Koautor David Reich von der Harvard Medical School, USA, zusammen. "Diese Studie unterstreicht die Stärken biomolekularer Methoden, um bisher nicht gekannte und überraschende Einsichten in unsere Vergangenheit zu gewinnen."

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