Gesellschaftliche Hierarchien und intensivere Landwirtschaft entwickelten sich parallel
Forschungsteam analysiert das Zusammenwirken sozialer und materieller Faktoren bei der Entwicklung von Gesellschaften
Die Frage, wie und warum menschliche Gesellschaften hierarchischer werden, ist seit langem Gegenstand wissenschaftlicher Debatten. Einige vertreten die Theorie, dass Gesellschaften hierarchischer werden, wenn sich die Menge verfügbarer Güter oder die Wirtschaftsweise ändert. Andere glauben, dass Hierarchie die Ursache und nicht das Ergebnis dieser Veränderungen ist. Viele vermuten die Antwort irgendwo zwischen den beiden Extremen. Um diese Theorien zu überprüfen, untersuchte eine Gruppe von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte und der Universität Auckland 155 Gesellschaften in Südostasien und Ozeanien, die zur austronesischen Sprachfamilie gehören. Die Ergebnisse wurden nun in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlicht.
Vielfältige Gesellschaften mit ähnlicher kultureller Herkunft
„Der Pazifik ist ein idealer Ort, um diese Ansätze zu überprüfen“, erklärt Seniorautor Quentin Atkinson vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte und der Universität Auckland. Die untersuchten Gesellschaften reichen geografisch von Taiwan bis Neuseeland, von Madagaskar bis zur Osterinsel. Sie unterscheiden sich auch in Hinblick auf die soziale Schichtung: So gab es dort die unterschiedlichsten Gesellschaftsformen von egalitären bis zu starr hierarchisch gegliederten. Ebenso reichten die landwirtschaftlichen Systeme von den am wenigsten intensiven bis zu den intensivsten in der vormodernen Welt. Die Reisterrassen der Ifugao auf den Philippinen wurden oft als "achtes Weltwunder" bezeichnet.
Keine eindeutige Kausalkette
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass es keinen einfachen kausalen Zusammenhang zwischen Veränderungen in der Landwirtschaft und zunehmender Hierarchie gab. Obwohl sich in vielen Fällen die landwirtschaftliche Intensivierung anscheinend gleichzeitig mit der sozialen Hierarchie entwickelte, zeigten sich die beiden Phänomene in anderen Fällen unabhängig voneinander. Und auch wenn beide auftraten, war es nicht immer so, dass die intensive Landwirtschaft an erster Stelle stand. "Es gibt die weit verbreitete Ansicht, dass Veränderungen in der Umwelt die soziale Entwicklung vorantreiben und nicht umgekehrt", sagt Atkinson. "Unsere Ergebnisse stellen diese Sichtweise in Frage und zeigen, dass die Kausalkette tatsächlich in beide Richtungen gehen kann."
"Möglicherweise haben sich Intensivierung und Hierarchiesierung gegenseitig in Form einer Rückkopplungsschleife gegenseitig verstärkt, die vielleicht auch das Bevölkerungswachstum beeinflusst hat", fügt Erstautor Oliver Sheehan hinzu, ebenfalls vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte und der Universität Auckland. "Diese Ergebnisse belegen, dass soziale und politische Faktoren für die kulturelle Evolution keineswegs zweitrangig sind, sondern dass sie zu ihren wichtigsten Triebfedern gehören."
Co-Autor Russell Gray, Direktor der Abteilung Sprach- und Kulturevolution am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, erklärt: ""Diese Studie zeigt, dass computergestützte phylogenetische Methoden eine leistungsfähige Methode sind, um kausale Hypothesen über die menschliche Geschichte zu testen."." Die Wissenschaftler planen in nächster Zeit, ähnliche Studien für andere Regionen und kulturelle Kontexte durchzuführen.