Neue Studie zur Rekonstruktion der prähistorischen afrikanischen Bevölkerungsstruktur
Genetische Untersuchungen weisen ausgestorbene menschliche Populationen und überraschende Verwandtschaftsverhältnisse auf dem afrikanischen Kontinent nach – Neue Einblicke in Afrikas komplexe Besiedlungsgeschichte und die Ko-Evolution von Mensch und Kultur
Die Erforschung alter DNA hat bereits viele spannende Erkenntnisse über die Entwicklungsgeschichte unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen der Welt geliefert. Bei der Erforschung der afrikanischen Menschheitsgeschichte machte den Forschern aber bisher immer die schlechte Erhaltung der DNA einen Strich durch die Rechnung: Genetisches Material, wie man es in Knochen und Zähnen uralter Skelette finden kann, degeneriert im feucht-warmen Klima Afrikas schneller als in kalten Regionen. Nun ermöglichen technologische Fortschritte den aDNA-Forschern aber erstmals, dieses bisher klimatisch bedingte Zeitfenster in der aDNA-Forschung signifikant weiter nach hinten zu verschieben. Dies ist ein Meilenstein für die Populationsgenetik, wie Johannes Krause, Direktor der Abteilung für Archäogenetik am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte und einer der Hauptautoren der Studie, bestätigt: „Afrika besitzt eine viel größere genetische Vielfalt als jeder andere Teil der Welt. Es war bisher leider nicht möglich, die vorzeitliche genetische Populationsstruktur Afrikas zu untersuchen.“
Verbesserte Technologien überwinden bisherige klimabedingte Barrieren in der aDNA Forschung
In der jetzt erschienenen Studie, an der auch ForscherInnen aus Südafrika, Malawi, Tansania und Kenia mitgearbeitet haben, ist es nun gelungen, aus 15 Skeletten subsaharischer Ureinwohner DNA zu gewinnen und zu untersuchen. Die analysierten prähistorischen Individuen stammen aus unterschiedlichen geographischen Regionen des Kontinents und sind zwischen 500 und 8500 Jahren alt.
Die ForscherInnen haben diese uralten Genome – zusammen mit dem bisher einzigen anderen bekannten alten Genom aus Afrika, welches 2015 sequenziert und publiziert worden war – mit rund 600 Genomen heute lebender Afrikaner aus 59 unterschiedlichen afrikanischen Populationen sowie mit 300 weiteren Genomen aus 142 nicht-afrikanischen Populationsgruppen verglichen. So konnte das Team überraschende Erkenntnisse über die vergangene Populationsstruktur Afrikas gewinnen und Abweichungen zur heutigen Bevölkerung feststellen.
Verlorene Jäger-Sammler-Population
Als die Landwirtschaft vor mehreren Tausend Jahren ihren Siegeszug in Afrika antrat, breiteten sich Ackerbauern und Viehzüchter auf dem ganzen Kontinent aus und vermischten sich mit den ortsansässigen Jäger-Sammlern. Wie in vielen anderen Teilen der Welt hat dieser Prozess offenbar auch in Kenia und Tansania stattgefunden, wie die Proben aus diesen Ländern nahelegen: „Die archäologischen Funde aus unseren Grabungen scheinen aber zu zeigen, dass eine Vermischung dieser beiden Kulturen erst nach einer längeren Zeit der Ko-Existenz stattfand. Wir glauben, dass Ackerbauern und Jäger-Sammler zunächst nebeneinander herlebten und dabei kaum eine genetische Mischung stattfand“, sagt Nicole Boivin, Direktorin der Abteilung für Archäologie am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte.
Zum Erstaunen der ForscherInnen zeigen die alten Genome aus Malawi aber ein ganz anderes Muster: die aDNA-Studie liefert Anhaltspunkte dafür, dass die Jäger-Sammler dort ganz verschwanden, ohne einen nachweislichen genetischen Beitrag zu den später dort lebenden Menschen geleistet zu haben. Dazu Boivin: „Scheinbar hat in Malawi eine fast komplette Ersetzung der ortsansässigen Population von Jäger-Sammlern durch die einströmenden Ackerbauern und Viehzüchter stattgefunden. Zumindest denken wir das aufgrund der aktuell vorliegenden Resultate und Funde. Es scheint, als gebe es keine oder nur eine sehr geringe Kontinuität zwischen den heute dort lebenden Menschen und deren Vorfahren, die vor 2500 bis 8000 Jahren in der Region lebten.“
Die Hadza könnten direkte Nachkommen der Bevölkerungsgruppe sein, die Afrika in Richtung Europa verließen
Die Studie beleuchtet auch die Ursprünge einer ganz einzigartigen Bevölkerungsgruppe aus Ostafrika, nämlich die Hadza. „Die Hadza unterscheiden sich heute phänotypisch, genetisch und auch sprachlich von anderen afrikanischen Bevölkerungsgruppen. Es gab daher Spekulationen, dass diese Gruppe eine frühe Abspaltung anderer afrikanischer Populationen repräsentieren könnte“, sagt David Reich der Harvard Medical School, einer der Hauptautoren der Studie. „Unsere Studie zeigt aber, dass die Hadza genetisch eher irgendwo in der Mitte anzusiedeln sind.“ Die genomischen Vergleiche legen nahe, dass die Hadza genetisch näher mit heute lebenden Bevölkerungsgruppen ausserhalb Afrikas verwandt sind, als mit afrikanischen Gruppen. Hieraus folgern die Forscher, dass die Hadza direkte Nachkommen der Gruppe sein könnten, die vor rund 50 000 Jahren aus Afrika aufbrach und so die modernen Europäer und Asiaten begründeten.
Genetische Anpassung an schwer bewohnbare Umgebungen
Die Studie hat auch erstmals alte DNA genutzt, um Einsichten in genetische Anpassungsprozesse bei Afrikanern zu gewinnen. Eine der Anpassungen, die die ForscherInnen nachweisen konnten, wurde in einer Jäger-Sammler-Gruppe gefunden, die durch die einströmenden Ackerbauern in zunehmend schwer bewohnbares Land in der Kalahari Wüste gedrängt wurden. Die Anpassung gab den Wüstenbewohnern einen verbesserten Schutz vor ultravioletter Strahlung – eine sinnvolle Anpassung an das neue Habitat der Gruppe. Nach Auffassung der ForscherInnen zeigen solch relativ jungen genetischen Anpassungen, dass sich der Mensch kontinuierlich an neue und veränderte Lebensbedingungen und -umgebungen anpasst – auch heute noch.
Die AutorInnen hoffen, dass die Studie mehr WissenschaftlerInnen dazu bewegen wird, die vielfältige genetische Landkarte Afrikas, sowohl früher wie auch heute, zu untersuchen. Johannes Krause ist sich sicher: „Diese Studie verdeutlicht die Aussagekraft prähistorischer afrikanischer Genome, um Einsichten in vorzeitliche Prozesse und Ereignisse zu gewinnen, die wir allein mithilfe moderner Genanalysen unmöglich nachvollziehen könnten.“
Text adaptiert von einem Artikel von Stephanie Dutchen.