Forschungsgruppe für Isotopenuntersuchungen
Die Isotopenforschungsgruppe der Abteilung Archäologie widmet sich der Anwendung stabiler Isotopenmethoden innerhalb multidisziplinärer Forschungsprogramme, die sich auf menschliche Paläoklimas, die Paläoumwelt, die Paläoernährungsweise sowie die Paläomobilität konzentrieren. Die Laboreinrichtungen unterstützen vielfältige Projekte von Doktorand/innen, Wissenschaftlichen Mitarbeiter/innen und Gastwissenschaftler/innen. Diese Projekte befassen sich mit Themen die von den Anpassungen des frühen Homo sapiens und seiner homininen Verwandten bis zu den Ursachen des Aussterbens der Megafauna im Pleistozän und Holozän reichen, von der Migrationsgeschichte und der modernen Ökologie des Gnus in Ostafrika bis zu den sozialen und ökologischen Auswirkungen des frühen Reisanbaus in Asien.
Die Gruppe arbeitet an der Anwendung von Isotopenmethoden auf archäologisches Material, einschließlich Knochen, Zähnen, Sedimenten und verkohltem Pflanzenmaterial, innerhalb eines Rahmens aus sachkundigen und in Kontext gesetzten archäologischen Fragen. Weiterhin werden einzelne Verbindungen der Biomarker, die mit der menschlichen Umwelt und Aktivität der Vergangenheit in Verbindung gebracht werden untersucht, darunter Biomarker aus Pflanzenwachs und Feuer-Biomarker. Neben dem Einsatz neuer archäologischer Anwendungen, widmet sich die Forschungsgruppe der Entwicklung einer modernen Forschungsgrundlinie, um Schwankungen in verschiedenen ökologischen Kontexten zu verfolgen. Diese Grundlagen können anschließend zum Verständnis isotopischer Ergebnisse aus der Vergangenheit herangezogen werden.
Projekte der Isotopenforschungsgruppe
Biomolekulare Geschichte Südasiens
Projektmitglieder: Ayushi Nayak, Patrick Roberts, Nicole Boivin, Michael Petraglia
Südasien ist und war lange Zeit eine Region mit enormer ökologischer und kultureller Vielfalt. Die Region beheimatet zahlreiche Sprachen, die zu mehreren großen Sprachfamilien gehören, sowie verschiedene religiöse, ethnische und subsistenzwirtschaftliche Gruppen. Diese vielfältigen Gruppen bewohnen ein breites Spektrum an ökologischen Zonen, von trockenen Wüsten über Berge und Ebenen bis hin zu tropischen Wäldern. Die Frage nach der Entstehung dieser enormen Vielfalt hat eine Reihe von Disziplinen herausgefordert.
Dieses Projekt strebt an, durch die Anwendung biomolekularer Methoden, einschließlich der Isotopenanalyse und Untersuchungen alter Zahnproben, ein neues Fenster zur Vergangenheit Südasiens zu öffnen. Die Methoden bieten großes Potenzial um neue Erkenntnisse über die Vorgeschichte Südasiens, insbesondere im Hinblick auf die bedeutendsten kulturellen Übergänge und deren Verbindung zu Veränderungen der menschlichen Mobilität, Ernährungsweise und Bevölkerungszusammensetzung zu erlangen.
Ökologischer Wandel vom späten Pleistozän bis zum Holozän und menschliche Anpassungen in hohen Lagen in Lesotho, südliches Afrika
Projektmitglieder: Robert Patalano, Patrick Roberts
Die Erforschung der frühen Ausbreitung des Homo sapiens in hochgelegene afrikanische Gebiete verändert unsere Wahrnehmung der Anpassungen unserer Spezies an verschiedene extreme Klimas und Lebensräume des Pleistozän. Da in der Vergangenheit der Schwerpunkt auf Sequenzen aus archäologischen Stätten des südlichen Afrikas an der Küste oder in Küstennähe lag, ist es jetzt von entscheidender Bedeutung, solche Studien durch solche aus dem topographisch variablen und biologisch vielfältigen Inneren des Kontinents zu ergänzen.
Dieses Projekt soll ein neues Fenster zu den hochgelegenen Gebieten Lesothos öffnen, und zwar durch die Anwendung von Biomarkern aus Pflanzenwachs, hauptsächlich aus normalen (n-) Alkanen und n- Alkansäuren. Die Verwendung von Wachs- Biomarkern in archäologischen Stätten im Hochland von Lesotho bietet die Möglichkeit, die frühere Verteilung der C3- und C4-Vegetation und die Auswirkungen von Temperatur- und Niederschlagsveränderungen auf die pflanzlichen und tierischen Ressourcen von vor etwa 60.000 Jahren bis in die Gegenwart zu untersuchen.
Da diese hochgelegenen Gebiete anfällig für Klimaveränderungen, kalte und trockene Bedingungen sowie eine lückenhafte Verteilung der Ressourcen waren, bieten die Archäologie und Paläoökologie von Lesotho wichtige Einblicke in die Herausforderungen, mit denen die Menschen konfrontiert waren um sich anzupassen, sowie in die Interaktionen der Bevölkerungen entlang der Maloti-Drakensberg-Bergkette.
Rekonstruktion von Klima, Vegetation und Feuer während der paläolithischen Übergänge auf dem indischen Subkontinent
Projektmitglieder: Deepak Jha, Patrick Roberts, Michael Petraglia
Der indische Subkontinent nimmt in der südlichen Mitte Asiens eine wichtige geografische Position ein. In Bezug auf die Erforschung der Evolution des Menschen verdient der Subkontinent Beachtung als ein entscheidendes Gebiet zur Untersuchung der Ausbreitungsprozesse von Homininen, insbesondere der Migration von Homo sapiens während des Spätpleistozäns. Während des Mittel- und Spätpleistozäns gibt es neue archäologische Belege für bedeutende technologische Übergänge, Veränderungen in den kulturellen Anpassungen sowie verschieden Siedlungs- und Subsistenzmuster. Leider sind die klimatischen und umweltbedingten Zusammenhänge dieser kulturellen Veränderungen nach wie vor nur unzureichend bekannt.
Mit diesem Projekt sollen neue Informationen über die von Homininen in Indien bewohnten Umgebungen gewonnen werden, die es uns ermöglichen, technologische und verhaltensbezogene Veränderungen zu untersuchen. Es wird eine Reihe von Multi-Proxy-Paläoumweltanalysen durchgeführt, darunter die Isotopenanalyse der organischen Bodensubstanz (δ13C- und δ15N- Werte), die Isotopenanalyse von extrahierten Blattwachsen (δ13C und δD- Werte) und die Isotopenanalyse von Bodenkarbonaten (δ13C und δ18O- Werte). Paläobrände werden anhand der Extraktion makroskopischer Holzkohlepartikel und polyzyklischer aromatischer Kohlenwasserstoffe (PAK) aus Sedimenten untersucht, die von archäologischen Stätten in verschiedenen Teilen des indischen Subkontinents stammen.
Isotopenanalyse und mittel- und jungpaläolithische Jagd in Deutschland
Projektmitglied: Phoebe Heddell-Stevens
Das Verhalten großer Pflanzenfresser hat lange eine wichtige Rolle für die Lebensweise jener Gruppen von Homininen gespielt, die diese jagten. Obwohl es eine weitreichende Erforschung der Subsistenzstrategien von Jägern- und Sammlern in Europa im Mittel- und Jungpaläolithikum gibt, mangelt es an direkten Nachweisen für die Paläoökologie der Haupt- Beutetierarten auf lokaler Ebene, oder in Zeitspannen anwendbar auf menschliche Aktivität. Dieses Forschungsprojekt strebt an diese Lücke zu schließen, indem sie die Analyse stabiler Isotopen von Faunenresten aus archäologischen Fundstätten anwendet.
Dies beinhaltet die Analyse mehrerer stabiler Isotope (δ13C, δ18O und 87Sr/86Sr) von sequentiell entnommenem Zahnschmelz großer Pflanzenfresser um Ernährungsweise, Verbreitungsgebiete und Migrationsmuster verschiedener Arten in Deutschland zu rekonstruieren. Analysen von sequenziell entnommenem Zahnschmelz liefern höher aufgelöste Daten unterjähriger Zeitskalen, die direkt mit der Zeitspanne menschlicher Aktivität an der Fundstätte zusammenhängen. Diese Daten werden verwendet, um ein größeres Verständnis für das Subsistenzverhalten der Homininen zu erhalten, die diese Tiere nutzten. Gewonnene Erkenntnisse tragen zu den laufenden Debatten über die adaptive Flexibilität der Homininen im Kontext des Spätpleistozäns in Westeuropa und darüber hinaus bei.
Bewertung des Umweltkontextes des Übergangs vom Mittelpaläolithikum zum Spätpaläolithikum in Südasien
Projektmitglieder: Gopesh Jha, Patrick Roberts, Michael Petraglia
Evolutionäre Veränderungen werden oft durch schwankende und instabile Umwelten vorangetrieben und führen zu flexibleren Verhaltensweisen. Die Anpassungen der Homininen wurden zweifelsohne durch den Klimawandel und landschaftsbedingte Veränderungen der ökologischen Ressourcen beeinflusst. Dennoch wurden sie, besonders im südasiatischen Kontext und trotz der Lage an einem wichtigen geografischen Knotenpunkt mit den großen Ost-West-Migrationsrouten der Menschen durch Asien und Anzeichen für bedeutende Veränderungen in der menschlichen Demografie und im technologischen Verhalten während des mittleren und späten Pleistozäns, nur selten untersucht. In diesem Zusammenhang ist die Expansion unserer eigenen Spezies in diese Region besonders bemerkenswert.
Neuere Studien haben gezeigt, dass mehrere Regionen Südasiens während des Spätpleistozäns einen technologischen Wandel erlebten. Es wurde argumentiert, dass die ariden Bedingungen der Sauerstoff-Isotopenstufen MIS 4 und MIS 3 ein treibender Faktor für die technologische Diversifizierung und die Entstehung von Mikrolith-Technologiekomplexen in Südasien waren, was darauf hindeutet, dass der Übergang konvergent stattfand und sich möglicherweise unmittelbar vor Ort aus der vorangegangenen Technologie (d. h. aus dem Mittelpaläolithikum) entwickelt hat. Allerdings fehlen in den bisherigen Studien die zugehörigen Paläoumweltdaten, so dass nur begrenzt überprüft werden kann, ob der Klimawandel das Verhalten in der Vergangenheit tatsächlich beeinflusst hat.
Das aktuelle Projekt untersucht den Umweltkontext des Übergangs vom Mittel- zum Jungpaläolithikum im Cuddapah-Becken mit der Zielsetzung, Beobachtungen der Klimavariabilität mit der Art und dem Zeitpunkt der menschlichen Innovationen im Spätpleistozän in Verbindung zu bringen. Wir verwenden einen Multi-Proxy-Umweltansatz (Biomarker aus Blattwachs, verbindungsspezifische Isotope: δ¹³C und δD, δ¹³C und δ¹8O) und kombinieren die gewonnenen Ergebnisse mit Daten der Technologie und Kultur, um die Beziehung zwischen Klima- und Umweltschwankungen und technologischen Veränderungen zu untersuchen.
Paläopathologie und Ernährung von Säuglingen im vorrömischen Italien
Projektmitglieder: Giulia Riccomi, Patrick Roberts, Mary Lucas
In Europa bestätigen paläopathologische Analysen von Skorbut (Vitamin-C-Mangel) vor allem dessen Auftreten in der nachmittelalterlichen Zeit in Verbindung mit Bestattungen von Seeleuten, Soldaten oder Opfern der Hungersnot. Im Gegensatz dazu gibt es für andere historische Perioden nur wenige Quellen über diese Krankheit. Dieses Projekt konzentriert sich auf die Rekonstruktion der Gesundheitsbedingungen und Ernährungsprofile in Pontecagnano, einer der am besten archäologisch dokumentierten vorrömischen Stätten in Italien. Die paläopathologische Analyse einer Skelettprobe eines Nicht-Erwachsenen aus etruskischer Zeit (720-580 v. Chr.) zeigt das Vorhandensein typischer Merkmale von Skorbut - diffuse Durchlässigkeit des Schädels, endokranielle Läsionen und periostale Neubildung der Knochen an Becken und Röhrenknochen.
Dieses Projekt strebt eine Verbindung der Paläopathologie von Skeletten mit der Biochemie von Knochen- und Zahngewebe zur Rekonstruktion früherer Lebensgeschichten, mit und ohne paläopathologische Indikatoren an. Das Ernährungsprofil wird durch die Entnahme von Dentinproben in verschiedenen Schritten für die Analyse stabiler Kohlen- und Stickstoffisotope, von Knochenkollagen für die Analyse von stabilen Kohlen- und Stickstoffisotopen und von stabilen Kohlen- und Sauerstoffisotopen aus dem Bioapatit des Zahnschmelzes untersucht. Die gewonnenen Daten über die Lebensgeschichte der Individuen werden unser Wissen über die Verbreitung von Skorbut in archäologischen Populationen des europäischen Mittelmeerraumes erweitern. Möglicherweise liefern sie wichtige Einblicke sowohl in die Voraussetzungen und Ernährungsweise der Kindheit, als auch über die menschliche Gesundheit und Stoffwechselerkrankungen in deren Gesamtheit.
Osteologie und Biomolekularanalysen im mittelalterlichen Spanien
Zwischen dem 9. und 15. Jahrhundert war die Iberische Halbinsel Ausgangspunkt entscheidender religiöser, ökonomischer und politischer Veränderungen in Europa. Dazu zählten die Ausbreitung des Christentums infolge der Auflösung des Umayyad-Kalifats und die Ausdehnung nach Al-Andalus, den einstigen islamischen Ländern in Spanien und Portugal sowie die Entstehung des Camino de Santiago. Von dieser Zeit an erlebte der Norden Iberiens aufgrund der Entstehung und Entwicklung verschiedener christlicher Königreiche einen starken demografischen und wirtschaftlichen Wandel. Es bildeten sich städtische Zentren, in denen die drei großen monotheistischen Religionen - Judentum, Islam und Christentum - nebeneinander existierten, wobei sich Zeiten des Friedens mit sozialen Spannungen abwechselten, bis zur Vertreibung der jüdischen und islamischen Gemeinschaften durch die Christen gegen Ende des Mittelalters.Zwischen dem 9. und 15. Jahrhundert war die Iberische Halbinsel Ausgangspunkt entscheidender religiöser, ökonomischer und politischer Veränderungen in Europa. Dazu zählten die Ausbreitung des Christentums infolge der Auflösung des Umayyad-Kalifats und die Ausdehnung nach Al-Andalus, den einstigen islamischen Ländern in Spanien und Portugal sowie die Entstehung des Camino de Santiago. Von dieser Zeit an erlebte der Norden Iberiens aufgrund der Entstehung und Entwicklung verschiedener christlicher Königreiche einen starken demografischen und wirtschaftlichen Wandel. Es bildeten sich städtische Zentren, in denen die drei großen monotheistischen Religionen - Judentum, Islam und Christentum - nebeneinander existierten, wobei sich Zeiten des Friedens mit sozialen Spannungen abwechselten, bis zur Vertreibung der jüdischen und islamischen Gemeinschaften durch die Christen gegen Ende des Mittelalters.
Die Folgen dieser Veränderungen können noch bis heute in der Region gespürt werden. Durch die Kombination von osteologischen Analysen mit Stabilisotopenanalysen und aDNA, versucht dieses Projekt die mittelalterlichen Gesellschaften dieser Region abzubilden und zu erforschen. Im Rahmen des Projekts werden neue Daten mit bestehenden historischen Datensätzen verglichen und Teile der Gesellschaft untersucht, die bislang oft vernachlässigt wurden. Die Forschung konzentriert sich insbesondere auf Pilger und Gesellschaften, die mit dem Jakobsweg in Verbindung stehen, auf die Analyse von Kriegsmönchen oder Kreuzfahrern und auf die Untersuchung islamischer Minderheiten in den entstehenden christlichen Königreichen. Das Projekt zielt darauf ab, ein besseres Verständnis der sozialen Veränderungen zu entwickeln, die für die Herausbildung der christlichen Identität von Bedeutung waren, einschließlich der Ideologie der „Reconquista“, mit der die territoriale Ausdehnung der iberischen christlichen Königreiche nach der Herrschaft der Umayyaden (711 n. Chr.) gerechtfertigt wurde.