Ältestes dokumentiertes Opfer einer Haiattacke in Japan identifiziert
Mit knapp 800 Wunden, sorgte die Todesursache eines 3000 Jahre alten Mannes jahrzehntelang für Rätsel
Als J. Alyssa White und Rick J. Schulting nach Beweisen für kriegerische Auseinandersetzungen unter prähistorischen Jägern und Sammlern in Japan suchten, stießen sie auf die Überreste eines Mannes mit wenigstens 790 traumatischen Wunden. Die Anzahl, Form und Verteilung verwunderten die Forschenden, da diese nur wenig Ähnlichkeiten mit typischen Wunden aus Gewalt- und Kriegshandlungen aufwiesen. Nachdem sowohl ein menschliches Verbrechen als auch Landraubtiere und Aasfresser als Ursache ausgeschlossen werden konnte, war klar, dass es sich bei dem Täter um einen Hai handeln musste.
Das Opfer, Individuum Nr. 24 vom Tsukumo Muschelhügel, befindet sich derzeit in der Universität Kyoto und bereitete Forschenden seit seiner Entdeckung vor mehr als 100 Jahren Kopfzerbrechen. Da archäologische Funde von Haiattacken besonders selten sind, wandten sich die Forschenden forensischen Untersuchungen von Haiattacken zu und befragten George Burgess, emeritierter Direktor des Florida Program for Shark Research, der der Einschätzung der beiden Wissenschaftler zustimmte.
Ein internationales Team versuchte schließlich, die Umstände des Angriffs zu rekonstruieren. Eine Radiokarbonanalyse des Mannes zeigte, dass dieser zwischen 1370 und 1010 v.Chr. verstarb. Die Verteilung der Wunden spricht nach herrschender Meinung dafür, dass der Mann während des Angriffs noch am Leben war. Die linke Hand und das rechte Bein des Mannes wurden sehr wahrscheinlich während der Attacke herausgerissen und konnten nicht mit den anderen Überresten gefunden werden.
Zusätzlich zu der fehlenden Hand und dem rechten Bein, bestätigen die Ausgrabungsaufzeichnungen von Tsukumo Nr. 24, dass sein linkes Bein in umgekehrter Position auf seinem Körper platziert wurde. Basierend auf den Zahnabdrücken, dem Ausmaß der Wunden und dem Fressverhalten von Haien, handelte es sich bei dem Hai mit hoher Wahrscheinlichkeit um entweder einen Tigerhai (Galeocerdo cuvier) oder einen Weißen Hai (Carcharaodon carcharias). Mithilfe einer eigens von Alyssa White, John Pouncett und Rick Schulting entwickelten Methode, konnten die Verletzungen visualisiert werden: Tsukumo 24 BodyMap 3D.
„Die neolithischen Völker der Jōmon-Zeit nutzten insbesondere Meeresressourcen. Seit dem zweiten Jahrtausend v.Chr. gab es anscheinend einen Wandel mit Fokus auf große Fische; vermutlich, um den eigenen sozialen Status zu untermauern. Wir können nicht eindeutig sagen, ob Tsukumo 24 absichtlich den Hai angriff oder ob der Hai durch Blut oder Köder von anderen Fischen angezogen wurde. Ganz gleich, was passierte; dieser Fund ermöglicht einen neuen Blick auf das historische Japan und ist gleichzeitig eine seltene Möglichkeit für Archäologinnen und Archäologen eine besonders dramatische Episode im Leben einer prähistorischen Gemeinde zu rekonstruieren“, so Koautor Dr. Mark Hudson von der Archaeolinguistic Research Group aus der Abteilung für Archäologie des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte.
Obwohl es den Forschenden darum ging, das Ausmaß der Gewalt in der Vorgeschichte zu verstehen, offenbart die Entdeckung des 3.000 Jahre alten Opfers eine verletzlichere Seite menschlicher Gesellschaften. Der Körper von Individuum Nr. 24 wurde - abgesehen von einem abgetrennten Bein und einer Hand - bald nach dem Angriff geborgen, wahrscheinlich von seinen Fischerkameraden, und auf dem Friedhof am Tsukumo-Muschelhügel begraben, der möglicherweise sein Heimatdorf war.