Warum Naturschutz neu gedacht werden muss
Archäologische Daten verlangen neue Ansätze zum Schutz der Biodiversität
Noch nie waren die negativen Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf die Ökosysteme so offensichtlich wie heute, da die Natur im Belagerungszustand und die biologische Vielfalt zunehmend bedroht ist. Aber sind menschliche Eingriffe in die Natur per se schädlich für die Ökosysteme? Nein, meint ein internationales Forschungsteam und plädiert in einer Studie, die am 19. April in PNAS erscheint, für neue Ansätze zum Schutz von Biodiversität und Artenvielfalt.
Prof. Nicole Boivin, Direktorin der Abteilung für Archäologie am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena, ist Teil einer internationalen Initiative, welche die Auswirkungen der Landnutzung in der Vergangenheit auf gegenwärtige Naturschutzbemühungen untersucht.
Zu dem interdisziplinären Team zählen Expertinnen und Experten aus Archäologie, Ökologie, Anthropologie und Naturschutz. Gemeinsam rekonstruierte das Team frühere Populationen und Landnutzung und konnte zeigen, dass bereits vor 12.000 Jahren die Menschen einen großen Teil der Biosphäre umgeformt hatten.
Ihre Ergebnisse stellen die herrschenden Vorstellungen in Frage, wonach es Ziel des Naturschutzes ist, Land in seinen natürlichen und unberührten Zustand zurückzuversetzen.
„Ein großer Teil der Flächen, die wir heute als ‚wild‘ bezeichnen, wurde bereits vor Jahrtausenden durch den Menschen geprägt und geformt“, erklärt Prof. Boivin. „Aber nicht alle menschlichen Aktivitäten sind 'schlecht'. Unsere Studie fand eine enge Korrelation zwischen Gebieten mit hoher Biodiversität und Gebieten, die seit langem von indigenen und traditionellen Völkern bewohnt werden." Zwar wurden die Landschaften durch Brandrodung, Ackerbau sowie Pflanzen- und Tierdomestizierung produktiver für die Nutzung durch den Menschen. In vielen Fällen trugen solche Eingriffe aber auch dazu bei, gute Voraussetzungen für eine große Artenvielfalt und hohe Biodiversität zu schaffen.
"Das Problem ist nicht die menschliche Nutzung an sich", stellt Professor Boivin fest. "Das Problem ist die Art der Landnutzung, die wir in industrialisierten Gesellschaften sehen - gekennzeichnet durch nicht nachhaltige landwirtschaftliche Praktiken und enorme Ausbeutung.“
Die Ergebnisse der Studie könnten weitreichende Auswirkungen auf die Praxis des Naturschutzes haben. Anstatt zu versuchen, Landschaften in einen ohnehin unerreichbaren "unberührten" Zustand zurückzuversetzen, zeigt das Forschungsteam, dass deutlich mehr erreicht werden könnte, wenn indigene und traditionelle Völker stärker in die Entwicklung und den Aufbau nachhaltiger, lokaler Ökosysteme einbezogen würden.
Indem das Team tausende Jahre weltweiter Landnutzung mit aktuellen Leveln von Biodiversität verglich, konnte es zeigen, dass Natur- und Kulturerbe oft Hand in Hand gehen. „Für den Naturschutz kann eine engere Zusammenarbeit mit Archäologie und Anthropologie einen deutlichen Mehrwert bieten, indem die Akteure mehr über die Geschichte der Regionen erfahren, in denen sie tätig sind,“ sagt Prof. Erle C. Ellis von der Universität Maryland, Erstautor der Studie.
„Bisherige Bemühungen des Naturschutzes fokussierten sich oftmals darauf, den Menschen aus der Gleichung zu entfernen, um natürliche Landschaften zu schützen oder es den vom Menschen veränderten Landschaften zu ermöglichen, in ihren ursprünglichen Zustand zurückzukehren,“ sagt Prof. Boivin. „Wir plädieren jedoch für eine andere Herangehensweise. Wir müssen stattdessen anerkennen, dass insbesondere traditionelle Landbewirtschaftungspraktiken, die wir aus archäologischen Aufzeichnungen kennen und die von vielen indigenen Völkern praktiziert werden - die Biodiversität tatsächlich unterstützen. Das müssen wir fördern und stärken."