Mutualismus und das Aussterben der Megafauna als Faktoren der Pflanzendomestizierung

Nur wenige Pflanzen entwickelten sich zu wichtigen Agrarpflanzen. Forschende vermuten nun, dass sie sich ursprünglich entwickelten, um wechselseitige Beziehungen zu heute ausgestorbenen großen Tieren zu sichern.

25. März 2021
Die Entwicklung der Landwirtschaft wird oftmals als eine Reaktion der Menschheit auf Klimawandel oder Bevölkerungswachstum angesehen. Eine in Frontiers in Plant Science veröffentlichte Studie hinterfragt diese Annahme und argumentiert, dass Pflanzen, die sich bereits an große Pflanzenfresser angepasst hatten, in einer stark durch den Menschen beeinflussten Landschaft besser gedeihen konnten. Nur einige wenige Pflanzen entwickelten sich zu wichtigen landwirtschaftlichen Nutzpflanzen. Forschende vermuten nun, dass mutualistische Beziehungen mit großen Tieren (Megafauna) zu sichern.

Durch das Roden von Wäldern, das Abbrennen von Weideland, das Pflügen von Feldern und die Ernte von Getreide übt der Mensch starken selektiven Druck auf die Pflanzen in den von ihm genutzten Landschaften aus. Pflanzen, welche Merkmale entwickelten, die eine großräumige Samenverbreitung begünstigen, wie schnelles jährliches Wachstum, fehlende Giftstoffe und zahlenmäßig große Samengenerationen, hatten eine höhere Chance in diesen dynamischen anthropogenen Landschaften zu überleben und im Laufe der Sesshaftwerdung des Menschen zu florieren. In der aktuellen Studie argumentieren die Wissenschaftler/-innen, diese Merkmale könnten sich als Anpassung an große Pflanzenfresser zur Sicherung einer wechselseitig nutzubringenden (mutualistischen) Beziehung entwickelt haben.

Die neue Studie formuliert unter anderem die Hypothese, dass das Vorliegen bestimmter anthropophiler Merkmale erklärt, warum einige wenige Pflanzenfamilien, wie Quinoa, einige Gräser und Knöterichgewächse, die Kultur- und Unkrautbestände rund um den Globus dominieren. Diese Eigenschaften, so die Wissenschaftler/-innen weiter, erklären auch, warum so viele Gattungen in verschiedenen Regionen der Welt wiederholt domestiziert wurden. Die "Unkrauthaftigkeit" und Anpassungsfähigkeit dieser Pflanzen war das Ergebnis einer Exaptation (Zweckentfremdung) oder einer Veränderung der ursprünglichen Funktion von evolutionären Merkmalen. Die Pflanzen entwickelten sich somit nicht durch gezieltes menschliches Zutun, sondern gewannen in der Umgebung von Siedlungen, auf Feldern und Weideland allmählich an Bedeutung.

Gräser und Feldpflanzen waren jedoch nicht die einzigen Pflanzen, welche frühere Anpassungen nutzten, um in von Menschen geformten Landschaften zu gedeihen. Auch eine Reihe von Bäumen wies bereits vorteilhafte Merkmale auf, wie z. B. große, fleischige Früchte, die sich durch Mutualismus mit großen Pflanzenfressern entwickelt hatten. Das rasche Aussterben der Megafauna am Ende des Pleistozäns ließ kleine, isolierte Populationen vieler dieser großfruchtigen Baumarten zurück und schuf so die Voraussetzungen für deutlich stärkere Veränderungen durch spätere Einkreuzungen. Als der Mensch begann, diese Bäume auch an andere Standorte zu transportieren, war es wahrscheinlich, dass sie sich mit entfernten Verwandten kreuzten, was in einigen Fällen zu größeren Früchten und robusteren Pflanzen führte. Auf diese Weise scheint der Domestikationsprozess für viele mehrjährige Pflanzen schneller verlaufen und durch das Aussterben von Megafauna mit Populationsveränderungen verbunden gewesen zu sein.

„Der Schlüssel zum Verständnis der Pflanzendomestizierung liegt vermutlich weiter in der Vergangenheit als bisher von Archäologen vermutet. Wir müssen deshalb die Domestizierung als weiteren Schritt in der Entwicklung von Leben auf der Erde betrachten und nicht lediglich als isoliertes Phänomen“, erklärt Dr. Robert Spengler, Leiter der archäo-botanischen Labore des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte und Erstautor der Studie.

Prof. Nicole Boivin, Direktorin der Abteilung für Archäologie des Max-Planck-Instituts in Jena untersucht den ökologischen Einfluss des Menschen in der tiefen Vergangenheit. „Wenn wir die Ökologie hinter dem Ursprung der Landwirtschaft betrachten, müssen wir die drastischen Veränderungen in der Tier- und Pflanzendynamik beachten, die während des Holozäns, insbesondere durch direkte menschliche Einwirkungen, entstanden.“

Die Forschenden prognostizieren außerdem, dass die nächsten wichtigen Entdeckungen zur Pflanzendomestikation nicht durch archäologische Ausgrabungen, in Labors oder auf modernen landwirtschaftlichen Feldern gemacht werden, sondern in restaurierten Megafauna-Landschaften. Aktuelle Forschungen von Dr. Natalie Mueller, einer der Autorinnen, untersucht die potenziellen Verbindungen zwischen Bisons und ausgestorbenen Getreidearten in Nordamerika. Ähnliche Untersuchungen könnten auf restaurierten Megafauna-Landschaften in Europa, wie dem Białowieski Nationalpark in Polen, dem Ust‘-Buotoma Bisonpark oder dem Pleistozän-Park in der Republik Sahka in Russland durchgeführt werden.

Die Paläontologin Dr. Ashastina, ebenfalls Ko-Autorin der Studie, erforscht die pleistozänen Vegetationsgemeinschaften Nordasiens. Sie erklärt: „Diese restaurierten Naturschutzgebiete bieten einen neuartigen Einblick in die Natur der Interaktionen zwischen Pflanzen und Tieren und ermöglichen es Ökologen nicht nur, Vegetationsveränderungen, die unter dem Druck von Pflanzenfressern in verschiedenen Ökosystemen auftreten, direkt nachzuvollziehen, sondern auch die tieferen Hinterlassenschaften dieser Mutualismen zu entschlüsseln."

 

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