9,500 Jahre alte Perlenherstellung aus Malawi rekonstruiert

Forschende des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte untersuchten eine historische Herstellungstechnik, welche Riesenschnecken zur Manufaktur von Perlen benutzte und mehrere tausend Jahre älter ist als bislang vermutet.

8. Februar 2021

Schmuck wird heute größtenteils getragen, um Status, die Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder die Identität auszudrücken. Im Verlauf der Menschheitsgeschichte wurden Perlen aus einer Vielzahl von Materialien hergestellt, darunter Glass, Gestein, Meeresmuscheln und sogar Straußeneierschalen. Für die Archäologie liefern Perlen wichtige Hinweise für soziale Kommunikation und Handelsnetzwerke, die besonders viel über historische Bevölkerungsgruppen erzählen können.

„Oft bleiben diese kleinen Artefakte unbeachtet, obwohl sie uns viel über historische Gesellschaften verraten können“ so Hauptautorin Dr. Jennifer Miller vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte. 

Die Forschenden kombinierten experimentelle und archäologische Daten, um zu untersuchen, wie die steinzeitlichen Menschen in Malawi Perlen aus den Schalen von Afrikanischen Riesenschnecken – ein häufiger Name für die Familie der Achatinidae – herstellten. Die mittelgroße bis große Schnecke trägt ein Gehäuse, welches häufig mehr als 10cm Länge erreicht. Obwohl die Schnecke ihre Heimat in Afrika hat, verbreitet sie sich mittlerweile als invasive Art auf verschiedenen Kontinenten.

Von ihrem Aussehen ähneln Perlen aus Schneckenschalen denen, welche aus Straußeneierschalen hergestellt wurden. Beide haben eine ähnliche Größe (häufig nicht mehr als 1cm Durchmesser), eine mittige Perforation und oft einen weißen oder blassen Farbton. Aufgrund dieser Ähnlichkeit werden die Schneckenperlen jedoch häufig falsch eingeordnet, was die Forschenden vor weitere Herausforderungen stellt, wenn es darum geht, die geographische und zeitliche Spanne der Perlen zu bestimmen.

Die beiden Materialien sind jedoch keineswegs identisch. Eierschalen und Schneckenschalen sind für verschiedene Funktionen ausgelegt, was durch ihre einzigartigen Mikrostrukturen gut reflektiert wird. Straußeneier dienen als schützende Hüllen für die sich entwickelnden Embryos. Sie können deshalb großem Druck von außen widerstehen, können jedoch von innen durch das Küken aufgebrochen werden. Schneckengehäuse sind hingegen lebenslange Hautpanzer. Ihre Spiralform und die innere Hüllenstruktur bieten der Schnecke guten Schutz von außen und innen. Diese verschiedenen Eigenschaften müssen deshalb für die Rekonstruktion der Herstellung von Perlen beachtet werden, da möglicherweise verschiedene Techniken notwendig waren, um ähnliche Perlenformen zu erhalten.

Die beste Art, die Herstellungstechniken nachzuvollziehen ist, unfertige Perlen, sogenannte Preforms oder Formlinge, zu untersuchen. Diese wurden entweder zerbrochen, gingen verloren oder wurden auf andere Weise von der Manufaktur ausgeschlossen. Da diese Perlen viel über die handwerkliche Fertigung enthüllen können, sind archäologische Sammlungen mit solchen Formlingen aus den frühen Phasen der Herstellung besonders wichtig.

Von Dr. Jessica Thompson (Yale University) geleitete Ausgrabungen führten nun zur Entdeckung hunderter Perlen und Preforms aus Schneckenschalen an drei Ausgrabungsorten in Malawi. Die größte dieser Sammlungen wurde in Hora 1, einer Stätte, die bereits für das Begräbnis von zwei Individuen bekannt wurde, welche die älteste aDNA-Sequenz im Sub-Sahara-Raum lieferten. Die meisten Perlen zeigten, dass zuerst die Außenkanten abgerundet wurden, bevor die Löcher gebohrt wurden (Pfad 2). Das entgegengesetzte Muster kann an Perlen aus Straußeneierschalen beobachtet werden, wo die Löcher zu Beginn gebohrt wurden (Pfad 1).

Wird das Loch zuerst gebohrt, ist es leichter, die Formlinge zusammenzubinden und diese zu einem Strang abzuschleifen. Dass Perlen aus Schneckenschalen anders hergestellt wurden, unterstreicht, wie essenziel das Verständnis über die verschiedenen Materialien ist. Da etliche der Perlen rötliche Rückstände aufwiesen, ist es ebenfalls möglich, dass diese mit Hilfe von natürlichen Pigmenten gefärbt wurden. Ebenfalls denkbar ist auch, dass die rötliche Färbung durch eine Abfärbung von der Haut des Herstellers entstand. Es sind solche Details, welche uns einen atemberaubenden Einblick in die alltäglichen Momente der Vergangenheit geben. 

Zwei der Formlinge (aus Hora 1 und Mazinga 1) wurden mithilfe der Radiokarbon-Methode datiert. Die Ergebnisse zeigten, dass die Menschen in Malawi vor mindestens 9,500 Jahren Perlen aus Riesenlandschnecken herstellten. Bislang wurde nur vermutet, dass dies eher ein Phänomen aus der Eisenzeit ist, welches vor etwa 4,000 Jahren einsetzte. Die Studie konnte damit die Herstellung von Perlen aus Schneckenschalen klar in die Zeit der Jäger und Sammler während der späteren Steinzeit (Later Stone Age) in Afrika einordnen. 

Dr. Miller analysierte ebenfalls die Formlinge und nutzte diese als Orientierung, um die historische Perlenherstellung zu rekonstruieren. Nachdem sie verschiedene traditionelle Techniken probierte, kam sie zu dem Ergebnis, dass die Technik des Pressure-Flaking die gewellten Ränder der historischen Formlinge reproduzierte. Zerbricht man die Schalen jedoch durch Zerstampfen, können ungewollt halbrunde Kanten entstehen, welche Formlingen aus der frühen Phase ähneln. Während alle Teile von Straußeneierschalen genutzt werden können, um Perlen herzustellen, ist lediglich die dickere Wohnkammer der Afrikanischen Riesenschnecken für die Manufaktur geeignet. Ebenfalls behielten die aufgetragenen roten Pigmente selbst nach dem Abwaschen noch ihre rötliche Färbung. Diese Unterschiede betonen noch einmal, dass Perlen aus Straußeneierschalen und Schneckenschalen unterschiedlich analysiert werden müssen.

Die Studie ist ein wichtiger Schritt zur Entschlüsselung der Bedeutung von Schmuck für vorzeitliche Bevölkerungsgruppen. Sie beleuchtet die bislang eher rätselhaften Perlen aus Schneckenschalen, indem sie die erste Beschreibung über deren Formlinge, die bislang einzige experimentelle Replikation und Daten über die ältesten Formlinge liefert. Auf Grundlage ihrer archäologischen und experimentellen Ergebnisse erstellten die Forschende eine modifizierte Produktionsabfolge, um weitere Forschung bei der Erkennung und Beschreibung der Perlen zu unterstützen. Gibt es einmal standardisierte und systematische Verfahren zur Beschreibung, Erkennung und Protokollierung dieser Artefakte, „können wir diese Informationen nutzen, um zu verstehen, wie die damaligen Menschen ihre Umgebung nutzten, Netzwerke aufrechterhielten und mit den Veränderungen der Umwelt umgingen,“ schließt Dr. Miller ab.

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