Neandertaler und Homo sapiens nutzten beide nubische Levallois-Technik
Neue Analysen eines versteinerten Zahns und von Steinwerkzeugen aus der Shukbah-Höhle zeigen, dass auch Neandertaler eine Technologie nutzte, die ausschließlich H. sapiens zugeordnet wurde.
Die Analyse eines Zahns eines etwa 9-jährigen Neandertalerkindes, der lange in einer Privatsammlung aufbewahrt wurde, markiert das südlichste bekannte Verbreitungsgebiet dieser Menschenart und die Untersuchung der vom selben Fundort stammenden archäologischen Sammlung deutet darauf hin, dass auch Neandertaler die nubische Levallois-Technik nutzten, die seit einiger Zeit als Erkennungszeichen für Homo sapiens galt.
Aufgrund ihrer zahlreichen Höhlen, welche vielfältige Belege über frühere Populationen und deren Verhalten beherbergen, ist die Levante ein Zentrum für die Erforschung der menschlichen Herkunft. Seit mehr als einem Jahrhundert förderten Ausgrabungen in der Region menschliche Überreste und Steinwerkzeuge zu Tage, die zeigen, dass sowohl Neandertaler als auch Homo sapiens hier lebten. Die Populationen allein anhand der Steinwerkzeug Werkzeuge zu unterscheiden, ist schwierig. Bislang ging man jedoch davon aus, dass eine bestimmte Technologie, die nubische LevalloisMethode, nur von Homo sapiens angewandt wurde.
Für einen neue Studie, die am 15. Februar in Scientific Reports erscheint, arbeiteten Forschende der Jenaer Max-Planck-Institute für Menschheitsgeschichte und für Chemische Ökologie mit internationalen Partnerinnen und -partnern zusammen, um die Fossilien und anderen archäologischen Funde der Shukbah-Höhle erneut zu untersuchen. Ihre Ergebnisse verschieben die bisher bekannte Ausbreitung des Neandertalers weiter nach Süden und lassen vermuten, dass Neandertaler auch eine Technologie nutzten, welche bisher als ausschließlich dem modernen Menschen zugeschrieben wurde. In dieser Studie wurde neben einer groß angelegten vergleichenden Untersuchung der Steinwerkzeugsammlung zum ersten Mal auch der einzelne Zahn, der in der Höle gefunden wurde, detailliert untersucht.
„Fundorte, an denen menschliche Fossilien direkt mit Werkzeugfunden in Verbindung gebracht werden können, sind nach wie vor selten. Doch die Untersuchung von sowohl Fossilien als auch Werkzeugen ist für das Verständnis der menschlichen Besiedlung der Shubkah-Höhle und der weiteren Umgebung essenziell“, sagt Hauptautor Dr. Jimbob Blinkhorn von der Pan-African Evolution Research Group am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, zuvor Wissenschaftler an der Royal Holloway University, London.
Bereits im Frühjahr 1928 fanden unter der Leitung von Dorothy Garrod erstmals archäologische Grabungen in der Shukbah-Höhle statt. Garrod dokumentierte eine große Ansammlung tierischer Knochen und Steinwerkzeugen im Moustérien-Stil, welche in Brekzienablagerungen zementiert und oft in deutlich erkennbaren Feuerstellen konzentriert waren. Sie identifizierte auch einen großen einzelnen menschlichen Backenzahn. Die Objekte blieben jedoch den größten Teil des 20. Jahrhunderts in einer privaten Sammlung. Die jüngste Wiederentdeckung des Zahnes am Naturhistorischen Museum in London führte zu erneuten Untersuchungen der ShukbahSammlungen. Das Exemplar wurde jedoch den größten Teil des 20. Jahrhunderts in einer Privatsammlung aufbewahrt, was vergleichende Studien mit modernen Methoden unmöglich machte. Erst die kürzliche Re-Identifizierung des Zahns im Natural History Museum in London hat zu neuen detaillierten Arbeiten an den Shukbah-Sammlungen geführt.
„Professor Garrod erkannte sofort die Besonderheit des Zahnes. Wir untersuchten die Größe, Form, die externe sowie interne 3D-Struktur des Zahnes und verglichen ihn mit Zähnen von Homo sapiens und Neandertaler aus Pleistozän und Holozän. Dadurch gelang es uns, den Zahn eindeutig einem etwa neunjährigen Neandertalerkind zuzuordnen“, erklärt Dr. Clément Zanolli von der Universität Bordeaux. „Shukbah markiert damit die südlichste bislang bekannte Ausbreitungsgrenze dieser Menschenart“, fügt Zanolli hinzu.
Obwohl Homo sapiens und Neandertaler eine Vielzahl von Werkzeugen gemeinsam nutzten, wurde wurde in jüngster Zeit argumentiert, dass die nubische Levallois-Technik ausschließlich von Homo sapiens benutzt wurde. Dieses Argument wurde vor allem für Südwestasien vorgebracht, wo – da Fossiliefunde fehlen - nubische Levallois-Werkzeuge verwendet wurden, um die Ausbreitung des modernen Menschen nachzuverfolgen.
„Zeichnungen der Steinwerkzeuge aus der Shubak-Höhle, wiesen auf die nubische Levallois-Technik hin, weshalb wir die Sammlungen noch einmal untersuchten. Am Ende identifizierten wir deutlich mehr Artefakte als erwartet, welche unter Anwendung dieser Technik hergestellt wurden“, so Blinkhorn. „Das ist das erste Mal, dass diese Art von Steinwerkzeugen in direkter Verbindung mit Neandertalerfossilien gefunden wurde, was vermuten lässt, dass wir nicht vorschnell von dieser Technik auf Homo sapiens schließen können.“
„Südwestasien ist in Bezug auf Demographie, Verhaltens- und Umweltveränderungen von Homininen eine dynamische Region und könnte besonders wichtig sein, um Interaktionen zwischen Neandertalern und Homo sapiens zu untersuchen,“ fügt Prof. Simon Blockley von der Royal Holloway University in London hinzu. Diese Studie unterstreicht die geografische Reichweite der verschiedenen Populationen des Neandertalers und deren Verhaltensflexibilität. Sie mahnt aber auch zur Vorsicht, dass es keine eindeutigen Verbindungen zwischen bestimmten Hominiden und bestimmten Steinwerkzeugtechniken gibt."
"Bis jetzt haben wir keine direkten Beweise für eine Neandertaler-Präsenz in Afrika", sagt Prof. Chris Stringer vom Natural History Museum. "Aber die südliche Lage von Shukbah, nur etwa 400 km von Kairo entfernt, sollte uns daran erinnern, dass Neandertaler sich zeitweise sogar in Afrika ausgebreitet haben könnten."
Partnerschaften
An dieser Studie beteiligten sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte, der Royal Holloway University London, der Universität Bordeaux, des Max-Planck-Instituts für Chemische Ökologie, der Universität Malta und dem Naturhistorischen Museum. Die Arbeit wurde durch die Leverhulme-Stiftung unterstützt (RPH-2017-087).