Über die Ursprünge unserer Art
Neue fossile Funde und genetische Erkenntnisse deuten darauf hin, dass es nicht den einen geografischen und zeitlichen Ursprung des modernen Menschen gibt.
Die meisten von uns sind von ihrer Familiengeschichte und darüber hinaus von der Herkunft unserer Art fasziniert. Regelmäßig lesen wir Schlagzeilen wie „Neuer Vorfahre des Menschen entdeckt“ oder „Neues Fossil ändert alles, was wir bisher über unsere Abstammung wussten.“ Dennoch wird die Bedeutung von Wörtern wie Abstammung oder Vorfahre nur selten im Detail erörtert. In einer neuen Studie, die am 11. Februar in Nature erscheint, diskutiert ein internationales Team von Wissenschaftler/-innen des Naturhistorischen Museums (Natural History Museum) in London, des Londoner Francis-Crick-Instituts und des Jenaer Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte unser aktuelles Verständnis darüber, wie die Abstammung des modernen Menschen rund um den Globus in die ferne Vergangenheit zurückverfolgt werden kann und welche frühen Menschenarten zu den Vorfahren des Homo sapiens gehören.
Koautor Prof. Chris Stringer vom Naturhistorischen Museum sagt: „Manche unserer Vorfahren werden in Gruppen oder Populationen gelebt haben, die anhand fossiler Überreste identifiziert werden können. Von anderen wird hingegen nur sehr wenig bekannt sein. Innerhalb des nächsten Jahrzehnts dürfte das zunehmende Wissen über unsere komplexe Herkunft dazu führen, dass sich der geographische Fokus der paläoanthropologischen Feldforschung auf Regionen ausweitet, die bisher nur als nebensächlich für die menschliche Evolution galten, darunter Zentral- und Westafrika, der indische Subkontinent und Südostasien.“
Die Studie identifiziert drei Schlüsselphasen der Abstammung des modernen Menschen, um die sich jeweils eine Vielzahl großer Fragen ranken: Die globale Ausbreitung des modernen Menschen vor ca. 40.000 bis 60.000 Jahren mit den letzten bekannten Kontakten zu archaischen Gruppen wie den Neandertalern und Denisova-Menschen, der afrikanische Ursprung der modernen menschlichen Vielfalt vor etwa 60.000 bis 300.000 Jahren und schließlich die komplexe Abspaltung der Vorfahren des modernen Menschen aus archaischen menschlichen Gruppen vor rund 300.000 bis eine Million Jahren.
Die Wissenschaftler/-innen argumentieren, dass derzeit kein Zeitpunkt identifiziert werden kann, an dem die Vorfahren des modernen Menschen an nur einem einzigen „Geburtsort“ zu finden waren, und dass die bekannten Muster des ersten Auftretens anatomischer Merkmale und von Verhaltensmerkmalen, welche häufig zur Definition des Homo sapiens verwendet werden, zu einer ganzen Reihe von Evolutionsgeschichten passen.
Co-Autor Pontus Skoglund vom Francis-Crick-Institut erklärt: „Entgegen einer weitverbreiteten Annahme, konnten weder genetische Befunde noch fossile Funde einen bestimmten Zeitpunkt und einen bestimmten Ort für den Ursprung unserer Art offenbaren. Einen solchen Zeitpunkt, zu dem alle unsere Vorfahren in einer Region lebten und die Merkmale aufwiesen, die wir mit unserer Art verbinden, hat es möglicherweise nicht gegeben. Im Moment wäre es nützlich, sich von der Vorstellung, eines einzigen Ursprungsorts und einem bestimmten Zeitpunkt, zu trennen.“
„Folgen wir diesen Annahmen, entstehen neue entscheidende Fragen bezüglich der Mechanismen, die diesen menschlichen Flickenteppich ermöglichten“, so Koautorin Eleanor Scerri von der Pan-African-Evolution-Research Group des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte. "Das Verständnis der Beziehung zwischen zerbrochenen Lebensräumen und sich verschiebenden menschlichen Nischen wird zweifellos eine Schlüsselrolle bei der Enträtselung dieser Fragen spielen und klären helfen, welche demografischen Muster am besten mit den genetischen und paläoanthropologischen Aufzeichnungen übereinstimmen."
Der bisherige Erfolg direkter genetischen Analysen unterstreicht die Bedeutung breiterer archäogenetischer Aufzeichnungen. Dies erfordert kontinuierliche technologische Verbesserungen bei der Gewinnung alter DNA (aDNA), eine umfassendere Suche nach sedimentärer aDNA, das biomolekulare Screening fragmentarischer Fossilien, um nicht erkanntes menschliches Material zu finden und eine verbesserte Auswertung der evolutionären Informationen, die in alten Proteinen enthalten sind. Die interdisziplinäre Analyse der wachsenden genetischen, fossilen und archäologischen Aufzeichnungen wird zweifellos noch viele Überraschungen über die Wurzeln des modernen Menschen bereithalten.