Sprachen und Gene beleuchten kulturelle Entwicklungen vor der Inka-Zeit in den Zentralanden

21. Oktober 2020

Durch die Kombination von neu verfügbaren Analysen und Methoden aus Linguistik und Genetik bestätigt die Studie, die in kulturellen und demografischen Elementen sichtbare Nord-Süd Spaltung in den Zentralanden

Von den ersten gesellschaftlichen Strukturen an der Zentralküste Perus bis hin zum mächtigen Inkareich waren die Zentralanden Heimat vieler verschiedener Kulturen und Gesellschaften. Insbesondere zwei Regionen konnten in der Archäologie als Hotspots kultureller Entwicklungen ausgemacht werden: eine maritim geprägte Region an der Nordküste Perus und eine landwirtschaftlich geprägte Region im peruanischen Hochland und im Titicaca-Becken. Die beiden Regionen konnten anhand ihrer Architektur, ihrer kulturellen Themen und ihrer Kunst, die in den archäologischen Aufzeichnungen über die Zeit Bestand hatten, als solche identifiziert werden. Jedoch ist bislang noch unklar, inwieweit die Menschen dieser Regionen miteinander verwandt waren und in welchem Ausmaß sie sich untereinander austauschten.

Einem gemeinsamen Forschungsprojekt des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte, dem Center for Advanced Studies „Words, Bones, Genes, Tools“ der Universität Tübingen und der Universität Zürich, ist es nun durch die Kombination von genetischen Analysen und linguistischen Studien gelungen, den bisherigen archäologischen Funden neue Beweise hinzuzufügen. Die im Journal of Anthropological Archaeology veröffentlichten Ergebnisse zeigen eine Korrelation zwischen Genen, Sprachen und Kulturen auf beiden Seiten dieser lange bestehenden Spaltung. Die Ergebnisse tragen zu den aktuellen Diskussionen darüber bei, wie demografische Geschichte, Sprachenvielfalt und kulturelle Entwicklung zusammenhängen.

Neue Daten klären alte Fragen

Mit zahlreichen gemeinsamen Wörtern und ähnlichen grammatischen Strukturen, werden Quechua und Aymara heute noch häufig in den Zentralanden, insbesondere im Süden, gesprochen. Die vielfältigen Sprachen des nördlichen Teils von Perus, sind dagegen weitestgehend ausgestorben und nur schlecht dokumentiert.

„Aus den verfügbaren Quellen auch nur eine ungefähre Vorstellung zu bekommen, welche Eigenschaften diese Sprachen möglicherweise hatten, war eine herausfordernde Aufgabe“, so Erstautor Matthias Urban vom Center for Advanced Studies „Words, Bones, Genes, Tools“ der Universität Tübingen.

Anhand von kolonialen Grammatiken, Wortlisten, sprachlichem Material, welches in Chroniken oder ethnohistorischen Dokumenten festgehalten ist, und durch die Analyse von Ortsnamen, die sich von den inzwischen ausgestorbenen Sprachen ableiten, konnte Urban zeigen, dass auch die nördlichen Sprachen einige gemeinsame Wörter und Strukturen aufweisen, mit wesentlichen Unterschieden zu den Quechuan- und Aymaran-Sprachen.

So enden zum Beispiel Wörter in Quechua und Aymara häufig auf Vokale. Das Zählen von eins bis drei klingt dann in etwa so: maya, paya, kimsa. Doch in der Mochica-Sprache der Nordküste, wo viele Wörter auf Konsonanten enden, klänge dieselbe Zahlenfolge möglicherweise so: onäk, atput, sopät.

Neue genomische Daten aus bislang unterrepräsentierten Regionen Nordperus liefern weitere Indizien für eine klare Trennung dieser kulturellen Zonen. Chiara Barbieri, Genetikerin an der Universität Zürich und am Jenaer Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte konnte in ihren Untersuchungen alter DNA ausgeprägte demografische Profile im Norden und Süden nachweisen, welche sich kontinuierlich über mehrere Jahrhunderte erstrecken.

„Als ich die Ergebnisse von Dr. Barbieri zum ersten Mal sah, war mir klar, dass dieses Muster, welches wir mittlerweile in drei Disziplinen, die die Vorgeschichte untersuchen, unabhängig voneinander beobachten konnten, von hoher Relevanz war“, so Urban.

„In dieser Studie konzentrierten wir uns auf den Grad der Bevölkerungsvielfalt, Kontakt und Struktur und prüften, wo Kontakte und Trennungen mit den genetischen, linguistischen und archäologischen Gesichtspunkten übereinstimmten“, erklärt Barbieri.

So kam die Studie auch zu dem Schluss, dass der Zeitraum, an dem sich die beiden Genpoole voneinander trennten, vor möglicherweise weniger als 2000 Jahren stattgefunden haben könnte.

„Genetische Daten können helfen, zunächst widersprüchlich erscheinende Hypothesen aus der Archäologie zu klären“, so Barbieri weiter. „Die demografische Struktur geht offenbar der Bildung kultureller Identitäten in dieser Region voraus, die sich durch eine starke Bevölkerungskontinuität über die Jahrhunderte hinweg auszeichnet. Dieses Konzept ist besonders bemerkenswert, denn es legt nahe, dass die kulturelle Struktur nicht immer der primäre Antrieb für die Bevölkerungsstruktur ist, wobei aber auch der umgekehrte Fall möglich ist.“

Zusätzlich zu der Notwendigkeit interdisziplinärer Forschung, präsentiert die Studie auch einen einzigartigen Ansatz, wie man Linguistik nutzen kann, um die Vergangenheit zu untersuchen.

„Linguisten und Linguistinnen, die ihren Schwerpunkt auf Vorgeschichte legen, versuchen normalerweise, den Ursprung von Sprachfamilien aufzuzeigen. Hier sehen wir jedoch, wie linguistische Daten auch zum interdisziplinären Dialog beitragen können“, so Urban.

„Indem wir mit multidisziplinären Ansätzen arbeiten und neue Daten und Methoden einbeziehen, können wir Details hinzufügen, um Kapitel unserer Vergangenheit besser auszuleuchten“, erklärt Barbieri abschließend. „Dies ist besonders interessant für Südamerika, wo das reiche kulturelle Erbe von der kolonialen Geschichte und dem Mangel an direkter schriftlicher historischer Dokumentation bislang überschattet wird.“

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