Familienleben hilft Jungvögeln klüger zu werden
Eine neue Studie von Rabenvögeln unterstreicht wie Biologie, Umwelt und Sozialleben Vögeln und Menschen ermöglichen, komplexe Fertigkeiten zu erlernen, um ihr Überleben zu sichern
Menschen haben auch für Primaten eine ungewöhnlich lange Kindheit. Forscher/-innen vermuten, dass dies uns viel Zeit zum Entdecken, Probieren und Lernen gibt, und ein Schlüssel dafür ist, dass wir Fertigkeiten erwerben können, deren Beherrschung Jahre dauert. Aber der Mensch ist nicht die einzige Art mit einer verlängerten Kindheit. Dies gibt es auch bei Elefanten, bestimmten Fledermäusen, Walen, Delphinen und verschiedenen Vögeln – insbesondere Rabenvögeln. Aber macht eine lange Kindheit auch andere Arten klüger, und, falls ja, welche Rolle spielen dabei die Eltern?
Ein Team aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Jenaer Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte, der Universität Konstanz sowie aus dem Vereinigten Königreich, ging diesen Fragen nach, indem es die Ergebnisse ihrer eigenen Feldforschung zu zwei Rabenvogelarten – Unglückshähern und Geradschnabelkrähen (auch Neukaledonienkrähe) – mit publizierten Daten von 127 Rabenvögeln und mehreren tausend Arten von Singvögeln kombinierte. Die Studie wurde in Philosophical Transactions of the Royal Society B veröffentlicht und bietet eine grundlegend neue Sicht auf die Evolution der Intelligenz, bei der das Familienleben im Mittelpunkt steht.
Eltern tragen die Kosten einer verlängerten Kindheit
Mitglieder des Forschungsteams beobachteten über Jahre hinweg, zwei Vogelarten im Feld, um zu verstehen, wie das Lernen junger Vögel mit elterlichen Fürsorge und dem späteren Überleben verknüpft ist. In Schweden untersuchten Wissenschaftler/-innen bei Feldversuchen das Erlernen überlebenswichtige Fertigkeiten von jungen Unglückshähern: das Erkennen gefährlicher Raubfeinde und das Finden von verstecktem Futter. Unglückshähern leben in Familiengruppen, zu denen die Jungen eines Brutpaares gehören können, aber auch Jungvögel, die in anderen Gruppen geboren wurden. Diese Nichtbrüter können bis zu vier Jahre lang in der Familiengruppe bleiben bevor sie Brüter werden. Nichtbrüter, die länger bei ihren Eltern blieben, lernten schneller Raubfeinde zu erkennen oder verstecktes Futter zu finden, da sie ihre Eltern genauer beobachteten, und die Eltern sie in ihrer Nähe tolerieren. Infolgedessen lebten sie länger und gründeten eher ihre eigene Familie.
In Neukaledonien untersuchten Wissenschaftler/-innen Geradschnabelkrähen, um zu verstehen, wie Jungtiere lernen, Werkzeuge herzustellen, mit denen sie an Futter gelangen können – eine überlebenswichtige Fertigkeit dieser Vögel. Die Jungtiere brauchen ein Jahr um dies zu lernen und werden während dieser Zeit von ihren Eltern gefüttert – eine große Investition für die Eltern. Jungtiere können für bis zu drei Jahre an der Seite ihrer Eltern bleiben, und ihre Kindheit dauert damit deutlich länger als bei anderen Krähen. Eltern und andere ausgewachsene Tiere sind zudem äußerst tolerant gegenüber jungen Krähen. Während Eltern ein Werkzeug benutzen, um Futter zu gewinnen, füttern sie die Jungen, lassen diese dabei genau zusehen und dulden sogar den Diebstahl der Werkzeuge sowie physischen Kontakt mit den Jungtieren. Als Ergebnis dieser toleranten Lernumgebung, verfügen Geradschnabelkrähen über die größten Gehirne im Verhältnis zu ihrer Körpergröße unter sämtlichen Vögeln.
Lange „Kindheit“ beeinflusst Intelligenz
Das Autorenteam vertritt die Annahme, dass die Schlüsselrolle der verlängerten Kindheit auf die Entwicklung kognitiver Fertigkeiten bisher übersehen wurde. Sie ermöglicht Kindern, zu lernen und Fehler zu machen.
„Eine verlängerte Kindheit hat tiefgreifende Konsequenzen für Lernfähigkeit und Intelligenz“, erklärt Michael Griesser von der Universität Konstanz. „Möglichkeiten zu lernen, entstehen aus dem Zusammenspiel von verlängerter Kindheit und somit verlängertem Familienleben. Familienleben ist für die Lernentwicklung entscheidend: es ermöglicht verlängerte Entwicklungsperioden in einer sicheren Umgebung mit uneingeschränktem Zugang zu Lernmöglichkeiten.
Familienleben hilft auch mit, die Kosten einer verlängerten Kindheit zu tragen. Es ist zwar kostenintensiv für Eltern den Nachwuchs länger auf verschiedene Arten zu unterstützen, doch leben familienlebende Arten vor allem an Orten, an denen genügend Nahrung verfügbar ist, und die Eltern es sich deshalb leisten können, die Jungtiere länger zu füttern. Entsprechend fördert Familienleben über Generationen, dass Jungtiere schwierige Fertigkeiten erwerben können und lebenswichtige Nahrungsressourcen erschließen, und somit auch größere Gehirne entwickeln. Dies erhöht die Überlebenschancen und erlaubt es Arten in neue Lebensräume zu expandieren.
Rabenvögel sind ungewöhnlich Vögel, aber sie ähneln den Menschen
Mittels phylogenetischer vergleichenden Methoden analysierte das Team die Unterschiede zwischen Rabenvögeln und allen anderen Singvögeln. Die Rabenvögel besitzen, ähnlich wie Menschen, im Vergleich zu ihrer Körpergröße deutlich größere Gehirne. Ebenfalls weisen sie längere Entwicklungsperioden auf, sowohl im Nest als auch nachdem sie dieses verlassen haben – eine weitere Gemeinsamkeit mit Menschen.
„Menschen wie Rabenvögel verbringen ihre Jugend damit, wichtige Fertigkeiten zu erwerben, umgeben von Erwachsenen, welche den langen Lernprozess tolerieren und unterstützen.“, erklärt Natalie Uomini vom Jenaer Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte. „Zudem besitzen Rabenvögel und Menschen die Fähigkeit, lebenslang zu lernen – eine flexible Art der Intelligenz, die es Individuen erlaubt, sich an verändernde Umweltbedingungen anzupassen.“
Vor dem Hintergrund dieser Studie, rückt die Wichtigkeit von Familienleben noch weiter in den Fokus. Eltern spielen eine entscheidende Rolle dabei, den Jungen zu helfen, ihre Intelligenz zu entwickeln. Kinder, genauso wie Jungvögel, können isoliert keine Fertigkeiten erwerben. Stattdessen benötigen sie eine fördernde, unterstützende Umgebung, die es ihnen ermöglicht, das Potential ihrer Gehirne voll zu entfalten.