Älteste bislang rekonstruierte Bakterien-Genome zeigen: Landwirtschaft und Viehzucht brachten neue Krankheiten mit sich
Die Analyse des Erbguts jahrtausendealter Salmonellen belegt erstmals den Zusammenhang zwischen der Entwicklung an den Menschen angepasster Krankheitserreger und dem Aufkommen von Ackerbau und Viehzucht
Anhand der Genome des Bakteriums Salmonella enterica, welche aus bis zu 6.500 Jahre alten Skeletten entschlüsselt wurden, gelang es einem internationalen Forschungsteam, Belege für die Hypothese zu finden, dass der Übergang von einer Jäger-Sammlerkultur zu Landwirtschaft und Viehhaltung die Entstehung von neuen, noch heute existierenden menschlichen Krankheitserregern begünstigte.
Die Neolithische Revolution und mit ihr der Beginn der Landwirtschaft steht für einen der Schlüsselmomente in der Geschichte der Menschheit. Lange wurde vermutet, dass dies auch der Grund für das Aufkommen von vielen neuen menschlichen Krankheiten war. In einer aktuellen Studie untersuchte ein Team um Felix M. Key, Alexander Herbig und Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte menschliche Überreste aus dem westlichen Eurasien und rekonstruierte acht alte Genome von Salmonella enterica. Alle rekonstruierten Genome sind Teil einer verwandten Gruppe innerhalb der deutlich größeren Vielfalt des heutigen S. enterica-Erregers. Die Ergebnisse beleuchten ein in der Vorgeschichte wahrscheinlich ernsthaftes Gesundheitsproblem und zeigen, wie sich der bakterielle Erreger über einen Zeitraum von 6.500 Jahren entwickelte. Die Studie erscheint am 24.02. 2020 in der Fachzeitschrift Nature Ecology & Evolution.
Die schwierige Suche nach historischen Krankheitserregern
Nur wenige Krankheitserreger hinterlassen bleibende Spuren an menschlichen Überresten wie Knochen oder Zähnen. Das macht es bei der Untersuchung von fossilen Funden schwierig zu erkennen, ob ein Individuum zu Lebzeiten mit einem Erreger infiziert war oder nicht. Um frühere Krankheitserreger dennoch sicher identifizieren und ihre Geschichte rekonstruieren zu können, nutzt die Forschung deshalb heute genetische Techniken. In der aktuellen Arbeit gelang dem Team um Key mithilfe einer neu entwickelten computergesteuerten Methode, genannt HOPS, diese Hindernisse bei der Suche nach historischen Krankheitserregern in den metagenomischen Daten zu überwinden.
„Mit unseren neu entwickelten Methoden gelang es uns, tausende archäologische Proben auf Spuren von Salmonellen-DNA zu untersuchen,“ erklärt Alexander Herbig, Forschungsgruppenleiter am MPI für Menschheitsgeschichte. Das Forschungsteam untersuchte insgesamt 2.739 menschliche Überreste und konnte daraus acht Salmonellen-Genome mit einem Alter von bis zu 6.500 Jahren konstruieren. Dies sind die bislang ältesten rekonstruierten bakteriellen Genome überhaupt.
Das Verhältnis zwischen untersuchten Proben und rekonstruierten Genomen verdeutlicht eine weitere Hürde im Bereich der historischen Pathogenforschung. Oftmals werden Hunderte von Proben benötigt, um nur ein einziges Genom eines Krankheitserregers entschlüsseln zu können. Im Fall der vorliegenden Studie konnte das Erbgut des Erregers aus den Zähnen der menschlichen Überreste gewonnen werden. Der Fund von S. enterica in den Zähnen legt nahe, dass die Personen an einer systemischen Salmonellen Infektion zum Zeitpunkt ihres Todes litten.
Die Personen kamen aus verschiedenen europäischen Regionen, von Russland bis der Schweiz, und waren späte Jäger und Sammler, nomadische Viehzüchter oder frühe Ackerbauern. „Dieses breite zeitliche, geografische und kulturelle Spektrum ermöglichte es uns, erstmals mit Hilfe der Molekulargenetik, die Evolution von Krankheitserregern mit dem Aufkommen einer neuen menschlichen Lebensweise zu verknüpfen,“ erklärt Herbig.
‚Neolithisierung‘ ermöglichte die Entwicklung der Pathogene
Wie bereits erwähnt, wurde seit langem vermutet, dass die Einführung von domestizierten Tieren, der häufigere Kontakt mit menschlichen und tierischen Ausscheidungen und ein starker Wandel in der Mobilität, die ‚Neolithisierung‘ - der Übergang zu einem landwirtschaftlichen Lebensstil – die Menschen stärker und häufiger neuen Erregern aussetzte und so die Entstehung neuer menschlicher Krankheiten begünstigte. Bis zu dieser Studie gab es dafür jedoch noch keine direkten molekularen Belege.
„Historische Metagenomik öffnet uns ein neues Fenster in die Vergangenheit menschlicher Krankheiten,“ unterstreicht Erstautor Felix M. Key, früher Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte und heute am Massachusetts Institute of Technology tätig. „Uns stehen jetzt Daten zur Verfügung, um das Auftauchen und die Ausbreitung von Pathogenen vor tausenden von Jahren nachzuvollziehen. Es ist aufregend, wie wir Hochdurchsatz-Technologien nutzen können, um Antworten auf lang bestehende Fragen zur Entwicklung von Mikroorganismen zu finden.“
Menschen, Schweine, und der Ursprung von Paratyphi C
Die Analyse ergab, dass die von den Landwirten und Viehzüchtern stammenden sechs Salmonellen-Genome Vorläufer des Bakterienstammes Paratyhpi C sind. Ein Stamm, der speziell Menschen infiziert, aber mittlerweile nur noch selten vorkommt. Er löst typhusähnliche Symptome aus, die unbehandelt tödlich verlaufen können.
Die historischen Salmonellen hingegen waren wahrscheinlich noch nicht an den Menschen angepasst und infizierten Tiere sowie Menschen. Dies legt nahe, dass die neuen kulturellen Gewohnheiten, die mit der Neolithisierung einhergingen, die Entstehung dieser Vorläufer und damit menschenspezifischer Krankheiten erleichterten. Bislang bestand die Annahme, dass sich der Salmonellen-Stamm vor 4.000 Jahren über domestizierte Schweine auf den Menschen ausbreitete. Die Entdeckung des Vorläuferstammes in mehr als 5.000 Jahre alten Skeletten lässt jedoch vermuten, dass dieser früher entstand als bislang angenommen und sich eventuell umgekehrt vom Menschen auf die Schweine ausbreitete. Die Autoren der Studie plädieren jedoch für die moderatere Hypothese, nach der sich sowohl die menschen- als auch die schweinespezifischen Salmonellen unabhängig aus unspezifischen Vorläufern innerhalb einer Umgebung von engem Kontakt zwischen Mensch und Tier entwickelten.
„Die faszinierenden Möglichkeiten bei der Analyse alter DNA ermöglichen es uns, infektiöse Mikroorganismen der Vergangenheit zu untersuchen, was manchmal das Augenmerk auf Krankheiten lenkt, die heutzutage von den meisten Menschen als ein weniger relevantes Gesundheitsproblem betrachtet werden,“ sagt Johannes Krauses, Direktor am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte.
Die aktuelle Studie eröffnet einen Einblick in den Wandel von Krankheiten über Jahrtausende und in verschiedenen menschlichen kulturellen Umfeldern zu erhalten. „Wir beginnen, wie im Fall von Salmonella, die genetischen Veränderungen, die notwendig für die Anpassung an den Wirt sind, zu verstehen. Dieses Wissen können wir nutzen, um nachzuvollziehen welche Mechanismen die Übertragung von Krankheiten vom Tier auf den Menschen ermöglichten“, so Key.
Das Autorenteam hofft, dass die aktuelle Studie die Möglichkeiten dieser Methoden aufzeigt und zukünftige Forschung darauf aufbaut, damit die Rolle der menschlich-kulturellen Evolution und die Mechanismen der Entstehung von humanspezifischen Krankheiten besser verstanden wird.