5.200 Jahre alte Getreidekörner datieren den Austausch von Nutzpflanzen in Eurasien um mehr als 1000 Jahre zurück
Vor mehr als 5000 Jahren verbreiteten sich landwirtschaftliche Nutzpflanzen über Eurasien und waren die Ursache für signifikante kulturelle Veränderungen. Neue Entdeckungen aus dem Altai-Gebirge zeigen, dass dieser Prozess eher begann als bislang angenommen.
Die historische Seidenstraße ist den meisten Menschen ein Begriff. Vielen ist jedoch nicht bekannt, dass bereits 3000 Jahre bevor dieses Netz organisierter Handelsrouten entstand, Waren, Technologien, Ideen und menschlichen Genen durch der Gebirgstäler Zentralasiens ausgetauscht wurden. Dieser Austausch spielte jedoch eine Schlüsselrolle für die kulturelle Entwicklung in Europa und Asien und ermöglichte den Transfer von Techniken wie Pferdezucht oder Metallverhüttung nach Ostasien. Die Ausbreitung nordostasiatischer Kulturpflanzen nach Westen sowie südwestasiatischer Kulturpflanzen nach Osten zählt zu den folgenreichsten Effekten dieses Prozesses. Ein Mangel an archaeobotanischen Studien in Zentralasien ließ bislang jedoch keinen exakten Schluss zu, wann und wie dieser Prozess erfolgte.
Die aktuelle Studie, entstanden unter der Leitung der Chinesischen Akademie für Wissenschaften und des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte, berichtet neue Details über Getreidekörner, die vom Kurzem bei archäologischen Grabungen im Altai-Gebirge gefunden wurden. Die Kohlenstoffdatierung ergab, dass darunter die ältesten Weizen- und Gerstenkörner sind, die jemals so weit nördlich in Asien gefunden wurden. Damit verschiebt sich der Zeitstrahl für die erste landwirtschaftliche Nutzung dieser Region um mindestens ein Jahrtausend. Zugleich sind diese Getreidekörner die ältesten domestizierten Pflanzen, die bislang in der nördlichen Hälfte Zentralasiens, dem Kern der alten Austauschrouten, gefunden wurden. Um zu zeigen, wie es den Menschen damals gelang, Getreide in diesen nördlichen Breitengraden zu kultivieren, kombiniert die Studie Daten über Pollen in Sedimenten mit Daten alter Holzkohle und archäobotanischen Überresten aus der Ausgrabungsstätte Tiangtian im chinesischen Altai-Gebirge. Die Studie verdeutlicht auch, wie anpassungsfähig die Pflanzen auf die neuen Umweltbedingungen reagierten und welche kulturelle Praktiken es den Menschen ermöglichten, in diesen schwer berechenbaren Umgebungen zu überleben.
Die nördliche Ausbreitung der Getreidekörner
Die Urahnen von Weizen und Gerste entwickelten sich ursprünglich in den warmen und trockenen Gebieten des östlichen Mittelmeerraumes und Südwestasiens. Dennoch gelang es den Menschen, diese Gräser fünfeinhalbtausend Kilometer weiter nordöstlich anzubauen. Mit Hilfe paläo-umweltlicher Proxies gingen Dr. Xinying Zhou und seine Kollegen in dieser Studie der Frage nach, wie extrem die Ökologie um die Höhlenausgrabungsstätte von Tangtian vor 5000 Jahren, das heißt zur Zeit ihrer Besiedlung, tatsächlich war. Die Höhle liegt hoch im Altai-Gebirge in einer heute kalten und trockenen Landschaft. Die Untersuchung ergab jedoch, dass das Klima damals etwas wärmer und feuchter als heute war.
Diese etwas milderen Bedingungen in der Region waren wahrscheinlich die Folge einer Verschiebung von Luftmassen, welche warme und feuchte Luft von Süden aus in die Region brachten. Neben der Nutzung dieser spezifischen "Klima-Nische" durch die frühen Bauern, zeigt die Analyse, dass die Getreidearten sich an die neue Umgebung anpassten. Die Ergebnisse dieser Studie liefern Hinweise darauf, wann es zu welchen evolutionären Veränderungen kam, darunter Änderungen in der Abhängigkeit von der Tageslänge, welche den Pflanzen ihre Blütezeit signalisiert, und eine erhöhte Widerstandsfähigkeit gegenüber Kälte.
Der transeurasische Austausch und die Verbreitung der Nutzpflanzen
Die Ausbreitung der Getreidesorten quer durch Innerasien in der Vergangenheit hat in den letzten Jahren in Biologie und Archäologie viel Aufmerksamkeit erfahren. So diskutiert Dr. Spengler, einer der Hauptautoren der Studie, in seinem jüngsten Buch Fruit from the Sands, wie die frühen Handelsrouten die menschliche Geschichte und Entwicklung prägten. Die Vermischung der Feldfrüchte von den entgegengesetzten Enden Asiens führte zur Nutzung von Fruchtfolgezyklen und höherer Produktivität, welche wiederum eine Zunahme der Bevölkerungszahlen und die Bildung von Staaten begünstigte. Rispenhirse entwickelte sich zu einer der wichtigsten Nutzpflanzen in Europa und in Ostasien gilt zur Zeit der Han-Dynastie das Gleiche für Weizen. Obwohl die lange Tradition des Reisanbaus diesen in Ostasien zu einem Grundnahrungsmittel machte, wäre die chinesische Küche ohne weizenbasierte Nahrungsmittel, wie gedämpfte Teigtaschen oder Nudeln, kaum wiederzuerkennen. Die Erkenntnis, dass diese Pflanzen früher als bisher angenommen über ganz Eurasien verbreitet waren, wird nachhaltige Auswirkungen haben auf die Erforschung der frühen Anbaumethoden, der Geschichte des kulturellen Kontakts und die Veränderungen der jeweiligen Küchen im Laufe der Zeit.
Die neuen Entdeckungen geben Anlass, bisherige Ansichten zu hinterfragen und lassen vermuten, dass kleine, durchmischte menschliche Populationen durch Migration, kulturellen und technologischen Austausch einen nicht unbeachtlichen Einfluss auf die Weltgeschichte hatten. "Diese Studie präsentiert nicht nur die ältesten Daten für domestiziertes Getreide im Norden Asiens", so Professor Xiaoqiang Li, Direktor des Instituts für Paläontologie und Paläoanthropologie der Wirbeltiere (IVPP) in Peking, "sondern sie zeichnet den Beginn des transeurasischen Austausches nach, welcher später möglicherweise zur Entwicklung der Seidenstraße führte".
Dr. Xinying Zhou, Leiter der Studie und Vorsitzender eines Forschungsteams an der IVPP in Peking, betont: "Diese Entdeckung ist ein Beleg für den menschlichen Einfallsreichtum und die beeindruckende ko-evolutionäre Bindung zwischen den Menschen und den Pflanzen, die sie auf ihren Feldern pflegen.“