Tiefgreifender Bevölkerungswandel am Ende der letzten Eiszeit

Genetische Analysen werfen neues Licht auf europäische Bevölkerungsgeschichte

4. Februar 2016
Bis heute ist stark umstritten, wann und in wie vielen Ausbreitungswellen der moderne Mensch von Afrika ausgehend den Rest der Welt besiedelte. Einem internationalen Forschungsteam ist es nun gelungen, die DNA von 35 frühen europäischen Jägern und Sammlern aus unterschiedlichen Zeitaltern zu rekonstruieren und neue, überraschende Einblicke in die frühe Bevölkerungsentwicklung Europas zu gewinnen. So deuten die Ergebnisse zum einen auf eine einzige, umfassende und schnelle Ausbreitungswelle des modernen Menschen außerhalb Afrikas hin, die sich gleichzeitig über Asien und Europa erstreckte. Zum anderen haben sie Hinweise dafür gefunden, dass am Ende der letzten Eiszeit, vor ca. 14 000 Jahren, ein bislang unbekannter, tiefgreifender genetischer Wandel der europäischen Bevölkerung stattfand.

Genetische Daten der frühen, modernen Menschen, die für 35.000 bis 40.000 Jahre als Jäger und Sammler in Europa lebten, sind rar und die Strukturen und die Entwicklung dieser Bevölkerungsgruppen weitgehend unerforscht. Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena und der Universität Tübingen ist es nun mit einem internationalen Forschungsteam gelungen, durch den Einsatz molekularer und bioinformatischer Techniken die mütterlicherseits vererbte mitochondriale DNA (mtDNA) von 35 frühen Jägern und Sammlern zu rekonstruieren. Das Alter der Funde liegt zwischen 35.000 und 7.000 Jahren und umspannt damit fast 30.000 Jahre europäische Urgeschichte. Die Fundorte befinden sich auf dem Gebiet von Italien, Deutschland, Belgien, Frankreich, Tschechien und Rumänien.

Die Analyse dieser alten mtDNA führte zu einem überraschenden Ergebnis: Drei Individuen aus der Zeit vor der Hochphase der letzten Eiszeit, die im heutigen Belgien und Frankreich gefunden wurden, gehören einem mtDNA –Typ an, der als Haplogruppe M bezeichnet wird. „Ich konnte es nicht glauben. Das erste Mal als ich zu diesem Ergebnis gelangte, war ich überzeugt, dass ein Fehler vorliegen muss, denn in heutigen Europäern ist diese Haplogruppe nicht zu finden. Dagegen ist sie in Asien und in den ursprünglichen australischen und amerikanischen Bevölkerungsgruppen weit verbreitet“, berichtet Cosimo Posth von der Universität Tübingen, Hauptautor der Studie. Die Wissenschaftler vermuten, dass zu Beginn des letzten Eiszeitmaximums die Bevölkerungszahl Europas beträchtlich schrumpfte und die Jäger- und Sammlerpopulationen sich an eine Reihe von Zufluchtsorten in Südeuropa zurückzogen, von denen aus sie sich mit der Erwärmung des Klimas wieder über Europa ausbreiteten. Während dieses Bevölkerungsrückgangs, so die Annahme, ging die Haplogruppe M in Europa verloren.

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