Grasende Herdentiere trieben die Domestikation von Getreide voran

Riesige Herden großer Säugetiere, wie z.B. Bisons, verbreiteten einst die Samen der Vorfahren heutiger kleinsamiger Nutzpflanzenund schufen so dichte, leicht abzuerntende Pflanzenbestände, welche die Menschen zur Kultivierung dieser Arten anregten.

8. Juli 2019

Viele der heute bekannten Getreidearten, z.B. Quinoa, Amarant, Hirse, Hanf und Buchweizen, besitzen Eigenschaften, die darauf hinweisen, dass sie sich entwickelten, um von großen grasenden Säugetieren verbreitet zu werden. Im Pleistozän prägten riesige Herden die Ökologie eines Großteils der Erde und führten zu evolutionären Veränderungen bei Pflanzen. Studien zur Ökologie und zum Wachstumsverhalten bestimmter prähistorischer Verwandter von Kulturpflanzen zeigen, dass Großtierherden für die Verbreitung ihrer Samen notwendig waren, bevor der Mensch in dieses Geschehen eingriff. Das Verständnis dieses Prozesses liefert der Wissenschaft Einblicke in die frühe Domestikation dieser Pflanzen.

Die Domestikation von kleinsamigen einjährigen Pflanzen bedeutet einen evolutionären Wechsel von der Verbreitung über die Aufnahme und Ausscheidung von Tieren zur Verbreitung durch den Menschen. Das zeigt eine neue Studie von Robert Sprengler, dem Leiter der paleoethnobotanischen Labore am Jenaer Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, und Natalie Mueller, Assistant Professor für Anthropologie an der Washington University in St. Louis, die am heutigen Montag in der Fachzeitschrift Nature Plants erscheint. Anhand von Weideflächenökologien und Mustern von Herden von Pflanzenfressern zeigen Spengler und Müller, dass sich die Vorfahren kleinsamiger Pflanzen so entwickelt haben, um von großen Wiederkäuern verbreitet zu werden. Obwohl die wilden Varianten dieser Arten heute auf kleinen, isolierten Flächen wachsen, zeigt das Forschungsteam, dass die starke Beweidung dieser Pflanzen durch Herdentiere zu dicht bewachsenen Flächen in der Nähe von Flüssen und anderen von den Tieren bevorzugten Orten führt. Diese dicht bewachsenen Flächen könnten – genau so wie die heutigen Felder – leicht abzuernten gewesen sein. Das könnte erklären, wie und warum die Menschen sich auf diese Pflanzen fokussierten und eine Antwort auf das seit langem bestehende Rätsel der Domestikation von Pflanzen liefern.

Ein neues Modell zur Domestikation kleinsamiger Getreidearten

Im mittleren Holozän (vor ca. 7.000-5.000 Jahren) begannen Menschen in ökologisch vielfältigen Flusstälern und Graslandschaften überall auf der Welt einjährige Pflanzen um ihrer Samen willen anzubauen. Weizen, Gerste und Reis sind einige der ersten großsamigen Pflanzen bzw. Gtreidearten, die Zeichen eines Domestikationsprozesses zeigten, welche die Wissenschaft bereits ausgiebig untersucht hat. Sehr viel weniger ist jedoch über die Domestikation von kleinsamigen Pflanzen bekannt, wie Quinoa, Amarant, Buchweizen, Hirse, sowie mehrere bereits verlorengegangene Getreidearten, die in Nordamerika domestiziert wurden. Die wilden Vorfahren dieser Pflanzen haben kleine Samen mit unverdaulichen Schalen oder Hülsen. Heute findet man diese Wildpflanzen auf kleinen, über weite Gebiete verstreuten Flächen, und die Tatsache, dass sie nicht wie die Vorfahren von Reis und Weizen dichte Wildbestände bilden, scheint sie für die Jäger und Sammler uninteressant gemacht zu haben. Die kleinen Samen mit ihrer harten Schale in Verbindung mit einem Mangel an dichten Wildpopulationen sind der Grund für die verbreitete Annahme, dass es sich bei diesen Pflanzen um Hungernahrung gehandelt haben muss.

Es würde Wochen dauern, genügend Wildsamen von diesen Arten zu sammeln, um sie zu Mehl zu mahlen und einen Laib Brot zu backen. Das gilt besonders für die selteneren oder gefährdeten Arten dieser prähistorischen Getreidearten. Warum haben sich also die frühen Jäger und Sammler so sehr auf diese Pflanzen fokussiert und sie schließlich als Nutzpflanzen angebaut?

Spengler und Mueller präsentieren in ihrer Arbeit ein neues Modell. Dieses Modell geht davon aus, dass diese Pflanzen, als die Menschen erstmals mit ihnen in Berührung kamen, in dichten Wildbeständen wuchsen, so dass sie leicht geerntet werden konnten. Als die Menschen dann begannen, diese Pflanzen anzubauen übernahmen sie die Saatgutverteilung. Im Lauf der Zeit entwickelten die Pflanzen neue, für die Landwirtschaft günstige, Eigenschaften und verloren die alten Eigenschaften, die ihre Verbreitung durch Herdentiere unterstützte. Die frühesten Merkmale der Domestikation – das Dünnerwerden oder der Verlust unverdaulicher Hülsen und Schalen zum Schutz des Saatgutes, der Wegfall der Wachstumspause sowie eine zunehmende Samengröße – können durch den Verlust des Ausbreitungsprozesses durch Wiederkäuer und die menschliche Bewirtschaftung von Wildbeständen erklärt werden

Riesige Bisonherden als Schlüssel zur Pflanzendomestikation im mittleren Westen

Für Pflanzendomestikation interessieren sich Spengler und Mueller bereits seit ihrer Studienzeit bei Dr. Gayle Fritz. Sie erkannte als eine der ersten Wissenschaftlerinnen, die Bedeutung des amerikanischen mittleren Westens als Zentrum der Getreidedomestikation. Trotz jahrzehntelanger Forschung zur Pflanzendomestikation in Nordamerika erkannte jedoch niemand, dass der wahre Schlüssel die riesigen Bisonherden waren. Die Pflanzen, die domestiziert wurden und die Mueller als "Lost crops" bezeichnet, wurden von Bisons in großen Mengen verteilt, sodass sie von den Menschen leicht gesammelt werden konnten und sie dazu anregten, diese Pflanzen selbst aktiv anzubauen. Als die Europäer die Herden ausrotteten, ging als Folge der Bestand dieser Pflanzen ebenfalls zurück. Weil die wilden Vorfahren dieser verlorenen Nutzpflanzen heute selten und die Bisons praktisch ausgestorben sind, hat die Wissenschaft dieses wichtige koevolutionäre Merkmal des Domestikationsprozesses lange übersehen.

Herdentiere können überall auf der Welt Vegetationsgemeinschaften prägen

Jedoch ist dieser Prozess nicht auf den mittleren Westen Amerikas begrenzt und die Forschenden vermuten, dass es Verbindungen zwischen der Buchweizendomestikation und der Yakhaltung im Himalaya sowie der Domestikation von Amarant und Lamahaltung in den Anden geben könnte. Spengler und Mueller haben einander ähnelnde Muster in flächenökologischen Studien gefunden und festgestellt, dass große Herdentiere Vegetationsgemeinschaften homogenisieren können. Zum Beispiel verdrängt intensive Weidehaltung in den Bergen von Zentralasien viele Pflanzen, während andere Pflanzen, die an eine Verbreitung durch Tiere angepasst sind, gedeihen. Die Ablagerung von Pflanzensamen in nährstoffreichem Mist führt zu ökologischen "Inselflächen", die häufig als Hot Spots bezeichnet werden, an denen Samen leicht gesammelt werden können.

Mehr als ein Jahrhundert lang wurde in der Wissenschaft dikutiert, warum die frühen Jäger und Sammler kleinsamige einjährige Pflanzen als Hauptnahrungsquelle nutzten (was vermutlich zu ihrer Domestikation führte). Heute haben die Vorfahren vieler dieser Pflanzen eine stark fragmentierte Population und mehrere sind bedroht oder bereits ausgestorben. Gleichermaßen wäre es ohne große, dichte, homogene Pflanzenbestände unmöglich gewesen, ihre Samen zu ernten. Die Schlussfolgerung, die Spengler und Mueller ziehen, hilft zu erklären, warum die Menschen diese Pflanzen ernteten und domestizierten. "Kleinsamige einjährige Pflanzen wurden in den meisten Regionen der Welt domestiziert", erklärt Spengler. "Die Erkenntnisse dieser Studie sind also von globaler Relevanz. Wissenschaftler auf der ganzen Welt werden sich mit diesen Ideen auseinandersetzen müssen, wenn sie Fragen zur Domestikation weiter verfolgen wollen."

Spengler und Müller forschen weiter an der Rolle von Weidetieren bei der Domestizierung von Pflanzen. "Derzeit untersuchen wir die Ökologie von Feldern, auf denen moderne Herdentiere als Stellvertreter weiden, um herauszufinden, welche Arten von Pflanzen in der letzten Eiszeit im amerikanischen mittleren Westen gewachsen sein könnten, als große Herden von Bisons, Mammuts und Wollpferde die Ökologie bestimmten", erklärt Spengler.

***Pressemitteilung in Kooperation mit der Washington University in St. Louis***

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