Bislang älteste Zeugnisse für Milchviehhaltung in der ostasiatischen Steppe

Bereits vor etwa 3300 Jahren etablierte sich die Haltung von Rindern, Schafen und Ziegen als Milchvieh in der nördlichen Mongolei - trotz geringem genetischen Einfluss von Hirten der westlichen Steppe.

5. November 2018
Die Milchweidewirtschaft machte die Hirten der mongolischen Steppe einst stark genug, den größten Teil Asiens und Europas zu erobern. Der Ursprung dieser Lebensform in der ostasiatischen Steppe ist jedoch unklar. Nun hat ein internationales Forschungsteam unter Leitung des Jenaer Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte Belege dafür gefunden, dass die Milchviehhaltung bereits um etwa 1300 v. Chr. durch einen Prozess kultureller Übertragung ohne weitreichenden Austausch der Bevölkerung oder großflächige Migration in die Mongolei gelangte.

Schon zweitausend Jahre vor den Armeen Dschingis Khans lebte die Bevölkerung in der Mongolei von Naturweidewirtschaft und Milchproduktion. Ihr Lebensstil war damit bereits dem Lebensstil ähnlich, der es späteren Bevölkerungsgruppen erlaubte, einen Großteil Asiens und Europas zu erobern. Doch obwohl der Pastoralismus seit langem die wichtigste Form der Lebenshaltung in der ostasiatischen Steppe ist, waren die Ursprünge dieser Tradition bislang unklar. Jetzt hat ein internationales Forschungsteam die bislang ältesten direkten Belege für Milchwirtschaft in der Mongolei entdeckt. Sie sind rund 3300 Jahre alt und wurden durch die Analyse von Milchproteinen gewonnen, die in archäologischem Zahnstein konserviert sind. Die gemolkenen Tiere – Rinder, Schafe und Ziegen – stammen ursprünglich nicht aus der Region und wurden wahrscheinlich von westlichen Steppenhirten eingeführt. Dennoch wiesen DNA-Analysen bronzezeitlicher Bewohner der Mongolei nur minimale genetische Beiträge von westlichen Steppenhirten auf. Das deutet darauf hin, dass Milchtierhaltung und Molkereitechnologien – im Gegensatz zu dem in Europa beobachteten Muster – nicht durch große Wanderungsbewegungen, sondern durch kulturelle Prozesse übertragen werden. Die Studie erscheint in dieser Woche in der Fachzeitschrift PNAS.

Kultur- und Technologietransfer ohne Bevölkerungsaustausch

Das Forschungsteam analysierte menschliche Überreste von sechs Standorten in der nördlichen Mongolei, die mit dem Hirschstein-Khirigsuur-Komplex in Verbindung stehen. "Der Hirschstein-Khirigsuur-Komplex ist bekannt für seine monumentale Architektur, darunter aufrechte Steine mit Hirsch- und anderen Motiven, und große Steinhügel, die oft mit einem oder mehreren Gräbern von Menschen zusammenhängen", erklärt Mitautorin Shevan Wilkin vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte. "An manchen Stellen sind diese Strukturen sehr auffällig und aus großer Entfernung sichtbar." Der Hirschstein-Khirigsuur-Komplex ist die früheste Kultur, die archäologisch mit der Naturweidewirtschaft in der Mongolei verbunden ist, mit Stätten, die bereits im 13. Jahrhundert v. Chr. Knochen von Schafen, Ziegen, Rindern und Pferden enthielten. Bislang gab es jedoch keine direkten Beobachtungen des Milchkonsums in dieser Region.

Das Team führte genomweite Analysen an den Überresten 22 bronzezeitlicher Individuen durch, die mit Hilfe der Radiokarbonmethode auf etwa 1300-900 v. Chr., das heißt die späte Bronzezeit datiert wurden. Bei zwei dieser Individuen wurde eine vollständige Genomanalyse durchgeführt. Diese Analyse zeigte, dass sich diese bronzezeitlichen Mongolen genetisch von den Hirten der westlichen Steppe zu dieser Zeit unterschieden. Das deutet darauf hin, dass das Vorkommen von Milchvieh in der Mongolei nicht das Ergebnis einer Bevölkerungswanderung oder eines Austauschs der Bevölkerung war.

"Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass benachbarte westliche Steppenhirten den Milchpastoralismus direkt oder indirekt vor allem durch einen kulturellen Austausch in die einheimische Bevölkerung eingeführt haben", erklärt Choongwon Jeong, einer der Erstautoren der Studie und Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte. "Wir sehen keine Belege für die Art von großflächigem Bevölkerungsersatz durch Hirten der westlichen Steppe, wie sie im bronzezeitlichen Europa oder in der nahegelegenen Altai-Sayan-Region beobachtet wurde."

Die Zahnsteinanalyse belegt klar den Konsum von Milchprodukten

Das Forschungsteam analysierte mit Hilfe der Proteomik auch den Zahnstein von neun Individuen. Milchproteine wurden dabei im Zahnstein von sieben Individuen gefunden, was bestätigt, dass Milchprodukte bereits 1300 v. Chr. konsumiert wurden. Es wurden sowohl Molke- als auch Quark-Proteine gewonnen, die Schafen, Ziegen und Rindern zugeordnet werden konnten. Interessanterweise war keines der Individuen Laktase persistent, das heißt genetisch in der Lage, Milchzucker zu verdauen. Die meisten Mongolen sind auch heute nicht Laktase persistent, obwohl sie einen großen Teil ihrer Nahrung in Form von Milchprodukten konsumieren.

"Das 3.000 Jahre alte Erbe der Milchviehhaltung und -wirtschaft in der Mongolei stellt herausfordernde Fragen an lange gehegte Annahmen zur Anpassung des Menschen und natürlichen Selektion", erklärt Studienleiterin Christina Warinner vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte. "Die Mongolei mit ihrer reichen Vorgeschichte kann uns als nicht Laktase persistente und dennoch auf Milchwirtschaft basierende Gesellschaft als Modell dienen, um zu verstehen, wie andere Anpassungen, wie zum Beispiel kulturelle Praktiken oder Veränderungen des Mikrobioms, an der Entstehung und Erhaltung von Küchen auf Milchbasis auf der ganzen Welt beteiligt sein können."

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