Unsere weitverzweigten afrikanischen Wurzeln  

Vielfältig in Gestalt und Kultur lebten unsere afrikanischen Vorfahren über den gesamten afrikanischen Kontinent verstreut

11. Juli 2018
Der moderne Mensch stammt nicht von einer einzigen Gründerpopulation in einer Region Afrikas ab, sondern seine Vorfahren lebten über den gesamten Kontinent verstreut. Die verschiedenen Jäger und Sammler Gruppen waren weitgehend voneinander isoliert. Getrennt durch Wüsten und dichte Wälder lebten sie in unterschiedlichen Lebensräumen mit sich verändernden ökologischen Grenzen. Jahrtausende der Trennung führten zu einer erstaunlichen Vielfalt menschlicher Formen, deren Vermischung letztlich unsere Spezies prägte. Dies ist das Ergebnis einer heute in Trends in Ecology and Evolution veröffentlichten Studie eines wissenschaftlichen Expertenteams unter der Leitung von Eleanor Scerri, Wissenschaftlerin an der British Academy der Universität Oxford und am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena.

Während allgemein anerkannt ist, dass der moderne Mensch seinen Ursprung in Afrika hat, wurde der Frage, wie sich der Mensch innerhalb des Kontinents entwickelt hat, bislang wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Vielfach ging man davon aus, dass die frühen Vorfahren des Menschen als eine einzige, relativ große Bevölkerungsgruppe entstanden sind, welche Gene und Technologien, wie die Herstellung von Steinwerkzeugen, mehr oder weniger zufällig untereinander austauschten.

In einer diese Woche in Trends in Ecology and Evolution veröffentlichten Studie, wird diese Sichtweise nicht nur durch die Untersuchung von versteinerten Knochen (Anthropologie), Steinwerkzeugen (Archäologie) und Genen (Populationsgenetik) in Frage gestellt, sondern auch durch neue und detailliertere Rekonstruktionen von Afrikas Klimazonen und Lebensräumen während der letzten 300.000 Jahre.

Eine Art, viele Ursprünge

„Steinwerkzeuge und andere Artefakte - gewöhnlich als materielle Kultur bezeichnet - haben sich in bemerkenswerten geographischen und zeitlichen Clustern verbreitet“, sagt Erstautorin Eleanor Scerri, Wissenschaftlerin an der Universität Oxford und am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena. „Es gibt zwar einen kontinent-weiten Trend zu einer ausgefeilteren materiellen Kultur, aber diese ‚Modernisierung‘ kann eindeutig nicht einer einzigen Region oder Zeitperiode zugerechnet werden.“

Menschliche Fossilien erzählen eine ähnliche Geschichte. „Wenn wir das Erscheinungsbild der menschlichen Knochen in den letzten 300.000 Jahren betrachten, sehen wir eine komplexe Mischung aus archaischen und modernen Merkmalen an verschiedenen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten“, sagt Ko-Autor Chris Stringer vom Londoner Natural History Museum. „Wie bei der materiellen Kultur sehen wir einen kontinent-weiten Trend zu anatomischen Merkmalen des modernen Menschen, aber verschiedene Merkmale treten an verschiedenen Orten zu unterschiedlichen Zeiten auf, und einige archaische Merkmale existierten noch bis vor Kurzem.“

Die genetischen Befunde stehen damit in Einklang: „Die genetischen Muster, die wir heute in Afrikanern sehen, und die DNA aus den Skelettresten von Menschen, die in den letzten 10.000 Jahren in Afrika lebten, lassen sich kaum mit einer einzigen menschlichen Urbevölkerung in Einklang bringen“, sagt Ko-Autor Mark Thomas, Genetiker am University College London. „Wir sehen Anzeichen für eine verminderte Konnektivität in der Vergangenheit, einige sehr alte genetische Abstammungslinien und ein Niveau der Gesamtvielfalt, welches eine einzelne Population nur schwer hätte aufrechterhalten können."

Ein genetisches, ökologisches und kulturelles Patchwork

Um zu verstehen, warum die Bevölkerung Afrikas so stark untergliedert war und wie sich diese Aufspaltungen im Laufe der Zeit verändert haben, betrachtete das Forschungsteam die ursprünglichen Klimazonen und Lebensräume des Kontinents. Dabei entstand der Eindruck sich verändernder und oft isolierter bewohnbarer Zonen. Viele der heute unwirtlichsten Regionen Afrikas, wie die Sahara, waren einst feucht und grün, mit Seen- und Flüssen durchzogen und einer reichen Tierwelt. Zeitgleich waren einige tropische Regionen, die heute feucht und grün sind, einst trocken. Diese sich verändernden Umweltbedingungen führten zu Aufspaltungen innerhalb von Tierarten und zahlreiche Arten südlich der Sahara weisen ähnliche Muster in ihrer geographischen Verteilung auf.

Der Wandel der bewohnbaren Zonen legt die Vermutung nahe, dass ihre Bevölkerungen viele Phasen der Isolation durchlebten, was zu lokaler Anpassung und der Entwicklung einer eigenen materiellen Kultur und biologischen Zusammensetzung führte -  auf die wiederum eine genetische und kulturelle Vermischung folgte.

„Übereinstimmende Belege aus diesen verschiedenen Bereichen unterstreichen die Bedeutung der Berücksichtigung der Bevölkerungsstruktur in unseren Modellen der menschlichen Evolution", so Dr. Lounes Chikhi vom CNRS in Toulouse und vom Instituto Gulbenkian de Ciência in Lissabon. „Diese komplexe Geschichte der Aufspaltung von Populationen sollte uns dazu bringen, bestehende Modelle zu Veränderungen von Populationsgrößen in der Vergangenheit in Frage zu stellen und vielleicht einige der alten Engpässe als Veränderungen der Konnektivität neu zu interpretieren", fügt er hinzu.

„Die Entwicklung der menschlichen Bevölkerung in Afrika war multiregional. Unsere Abstammung war multiethnisch. Und die Entwicklung unserer materiellen Kultur war multikulturell“, sagt Scerri. „Wir müssen uns alle Regionen Afrikas ansehen, um die menschliche Evolution zu verstehen.“

 

Zur Redakteursansicht