Forschungsgruppe für Archäobotanik

Die Forschungsgruppe für Archäobotanik widmet sich der mikro-und makrobotanischen Untersuchung von Mensch-Pflanzen-Interaktionen der Vergangenheit. Das Team betreibt mehrere Forschungsprojekte in den Temperaturzonen der nördlichen Hemissphäre, fokussiert sich jedoch insbesondere auf die wenig untersuchten Gebiete Zentralasiens.

Mit mehr als 20 laufenden Studien untersuchen die Mitglieder der Forschungsgruppe für Archäobotanik eine Vielzahl von Forschungsfragen im Zusammenhang mit historischen Ökosystemen und Ökonomien. Die Untersuchung von Holzkohle, die in archäologischen Stätten aufbewahrt wurde, hilft beispielsweise dabei, die frühe Kultivierung von Bäumen in Wüstenoasen und die Veränderungen der holzigen Vegetationsgemeinschaften in den Ausläufern Innerasiens zu erforschen. Darüber hinaus trägt die Untersuchung von Samen- und Fruchtresten, die an archäologischen Stätten entlang der alten Handelsrouten der Seidenstraße gefunden wurden, dazu bei, die Prozesse der Ausbreitung von Pflanzen in der Alten Welt zu analysieren. Die Mitglieder der Archäobotanik-Gruppe gehen so unterschiedlichen und dringenden Forschungsfragen nach wie: 1) welche Rolle spielte die Intensivierung der landwirtschaftlichen Systeme bei der allmählichen Zunahme der sozialen Komplexität und 2) welche kulturellen Veränderungen gingen mit der Übernahme der Landwirtschaft einher. Das Team ist besonders an der Erforschung der Domestizierung und Verbreitung von Pflanzen interessiert und ist deshalb eng in das FEDD-Projekt eingebunden.

Das Forschungsprojekt Fruits of Eurasia wurde durch einen ERC-Zuschuss finanziert, um der Frage nachzugehen, wo und wann die Lebensmittel, die wir täglich essen, entstanden sind. Das Forschungsprogramm FEDD verbindet Biologie mit Sozialwissenschaften und verfügt so über ein breites Spektrum an Spezialisten*innen aus der Archäologie. Das Team konzentriert sich auf mehrjährige Pflanzen, da bisherige Studien zur Domestizierung von Getreide und Hülsenfrüchten zu einseitig auf diese ausgerichtet waren. Die Forschenden versuchen, die Ursprünge einiger der bekanntesten Früchte in unserer Küche aufzudecken und so die Prozesse des evolutionären Wandels besser zu verstehen, die aus der Interaktion mit dem Menschen resultierten. Viele dieser Baumfrüchte scheinen ihren Ursprung in den Bergen Zentralasiens zu haben und sind eng mit den alten Handelsrouten der Seidenstraße verknüpft, über die sie verbreitet wurden.

Informationen zu laufenden Forschungsprojekten erhalten Sie hier: https://robertnspengler.com/

Forschungsprojekte

Die Höhlen Zentralasiens: Zeitkapseln menschlichen Verhaltens

Projektmitglieder: Kseniia Boxleitner, Robert N. Spengler III

Höhlen und Felsen haben die Menschen seit Hunderttausenden von Jahren angezogen. Die gut erhaltenen Sedimente in diesen natürlichen Zeitkapseln liefern detaillierte ökologische, paläontologische und archäologische Informationen. Das Tian Shan- und das Pamir-Gebirge waren während des gesamten Quartärs ein wichtiger kultureller Korridor für menschliche Bewegungen zwischen Zentral- und Ostasien. Untersuchungen von Höhlen und Felsunterkünften in verschiedenen Höhenlagen über eine große Zeitspanne hinweg geben Aufschluss über drängende Fragen der zentralasiatischen Archäologie, z. B. über die Ausbreitungswege von Pflanzen und Tieren, die evolutionären Veränderungen dieser Organismen im Laufe der Zeit und die Dynamik des prähistorischen kulturellen Wandels.

Die Gruppe untersucht archäobotanische Überreste aus vier kürzlich ausgegrabenen Höhlenstätten in Zentralasien: Obishir-5, Surungur, Sel'Ungur, Istikskaya und Kurteke. Die Fundstätten Obishir-5, Sel'Ungur und Surungur befinden sich im südlichen Teil des Ferghanatals in Kirgisistan - einem Kreuzungspunkt  der westlichen Steppe und den Hochgebirgsregionen. Die Fundstellen Istikskaya und Kurteke geben Einblicke in die Archäologie der Hochgebirgsbesiedlung im Pamirgebirge in Tadschikistan. Das Team versucht, Kochgewohnheiten zu rekonstruieren, mögliche Handels- und Austauschbeziehungen mit benachbarten Gebieten nachzuvollziehen, den Zeitpunkt des Anbaus von Pflanzen in Kirgisistan und Tadschikistan zu bestimmen und Einblicke in die Wechselwirkungen zwischen sich ändernden Umweltbedingungen und dem Alltagsleben der Menschen (z. B. Wahl des Brennstoffs, Verfügbarkeit von Pflanzen) während des Holozäns zu gewinnen. Dabei werden sie von Forschenden aus Kirgisistan, Russland und Tadschikistan als wichtige Projektmitglieder unterstützt.

Leben auf dem Dach der Welt: Höhenanpassungen im prähistorischen tibetischen Hochland

Projektmitglieder: Li Tang, Robert Spengler, Patrick Roberts, Nicole Boivin

Das tibetische Hochland, auch ‚dritter Pol‘ genannt, gilt als einer der unwirtlichsten Lebensräume der Erde. Während die Selektion von mehreren Genloki die frühen Tibeter in die Lage versetzte, sich biologisch an das Leben in großen Höhen anzupassen, erforderte die Herausforderung, ausreichend Nahrung aus den Eiswüsten des Plateaus zu beschaffen, neuartige kulturelle Anpassungen. Wir wissen jedoch immer noch wenig darüber, wie sich die alten Tibeter, die in verschiedenen ökologischen Nischen lebten, auf dem Hochplateau ernähren konnten. Durch die Kombination von Archäobotanik, Proteomik und Isotopenanalysen zielt dieses Projekt darauf ab, die komplizierten Höhenanpassungen in der prähistorischen Landwirtschaft, Viehzucht und Handwerk zu erforschen. Dieses Projekt soll zum Wissensgewinn über die frühe Besiedlungsgeschichte des tibetischen Plateaus beitragen und zeigen, wie sich unsere Spezies an extreme Umgebungen anpasste.

Kuckenburg: Die Erforschung Mitteldeutschlands anhand einer bronzezeitlichen Siedlung und mittelalterlichen Höhenbefestigung

Projektmitglieder: Barbara Zach

Die Kuckenburg-Stätte in Sachsen-Anhalt gilt als einzigartiger Fundort, da hier verschiedene Bestattungsriten nebeneinander bestanden. Sowohl Körperbestattungen als auch Brandbestattungen, die der Urnenfelderzeit zugeschrieben werden, konnten in archäologischen Untersuchungen nachgewiesen werden, obwohl Brandbestattungen zu dieser Zeit eigentlich die Hauptform der Bestattungsrituale ausmachten. Die Stätte war vom Spätpaläolithikum bis zum frühen Mittelalter durchgehend bewohnt und ermöglicht die Untersuchung von Ernährungsgewohnheiten, Demografie und Umwelt im Laufe der Zeit. In einer Gemeinschaftsstudie, an der Forschende aus ganz Jena beteiligt sind, wenden wir einen multidisziplinären Ansatz an, der Archäobotanik, historische DNA, Stabilisotopenanalytik, Osteoarchäologie und die Analyse der materiellen Kultur umfasst, um ein besseres Verständnis der Erfahrungen und Identitäten der mit dem Urnenfeld verbundenen Gruppen in der späten Bronzezeit Mitteleuropas zu gewinnen.

Die archäobotanischen Ergebnisse zeigen, dass eine breite Palette von Kulturpflanzen angebaut wurde und  Nutzpflanzen und Unkraut gesammelt wurden. Besenhirse (Panicum miliaceum) ist in einigen der Strukturen vorhanden, und das starke Stabilisotopensignal für den Verzehr von Besenhirse (Signal für den Verzehr von C4-Pflanzen) in nur einigen der Individuen wirft Fragen über das Tempo und die Art des Auftretens dieser rätselhaften Kulturpflanze in Mitteleuropa auf. Die Analyse genomweiter Daten von 18 bestatteten Individuen deutet darauf hin, dass die unterschiedlichen Bestattungspraktiken bei Kuckenburg nicht das Ergebnis einer neuen genetischen Gruppe waren, sondern eher das Ergebnis kultureller Variation innerhalb einer lokalen Bevölkerung. Mit dieser Studie zeigen wir, dass die Kombination mehrerer Forschungsmethoden es uns ermöglicht, ein vollständigeres Bild der Vergangenheit an einem wichtigen mitteleuropäischen Standort zu rekonstruieren.

Landwirtschaft, Handel und Komplexität im historischen Eurasien

Projektmitglieder: Robert N. Spengler III; Madelynn von Baeyer; Rita Dal Martello; Kseniia Boxleitner; Li Tang; Traci N Billings; Barbara Huber; Basira Mir Makhamad; Barbara Zach

Das späte erste Jahrtausend v. Chr. in ganz Innerasien gilt als die Zeit der Skythen - einem hochspezialisierten Reitervolk. Neue Forschungen zeigen jedoch, dass die Region des östlichen Zentralasiens in diesem Zeitraum tatsächlich einen Prozess der zunehmenden Sesshaftigkeit und der Intensivierung der landwirtschaftlichen Tätigkeit durchlief. Bei der Untersuchung dieses Prozesses erforschen wir die Zusammenhänge zwischen der Intensivierung der Landwirtschaft und dem verstärkten Handel und Austausch, dem Bevölkerungswachstum, der Spezialisierung des Handwerks und der Entwicklung einer elitären Klasse. Das lange vertretene Modell für die Paläoökonomie in Zentralasien legt nahe, dass es in der Mitte des ersten Jahrtausends v. Chr. einen dramatischen kulturellen Wandel gab. Dieser Wandel spiegelt sich in der populären Literatur im ersten Auftreten der hochspezialisierten nomadischen Hirten der zentralasiatischen Eisenzeit (Skythen, Saka, Wusun und Yuezhi) wider.

Mit zunehmenden archäobotanischen Untersuchungen in den Bergen des östlichen Zentralasiens wird deutlich, dass die Situation deutlich komplexer ist, als dieses Modell vermuten lässt. Die archäologischen Funde weisen auf eine intensivierte Landwirtschaft hin, die mehrere Kulturen mit unterschiedlichen Wachstumszeiten und unterschiedlichem Arbeitsaufwand (wodurch die Arbeitsanforderungen effektiv gestaffelt werden), wahrscheinlich bewässerte Felder und Weinbau umfasst. Die Agrarpastoralisten dieser Stätten bauten frei mähenden Weizen, geschälte Gerste, Besen- und Kolbenhirse sowie Weintrauben an. Unser Verständnis der sozialen Entwicklungen in ganz Zentralasien wird derzeit neu bewertet und weitere archäobotanische Untersuchungen könnten zeigen, dass es in einigen Gebieten eine Spezialisierung hin zur Weidewirtschaft gab. Eindeutig ist bereits jetzt schon, dass Getreide Teil der Wirtschaft war und die Menschen viel Zeit in die Landwirtschaft investierten.

Der anthropogene Fußabdruck der Seidenstraße

Projektmitglieder: Robert N. Spengler III; Madelynn von Baeyer; Rita Dal Martello; Kseniia Boxleitner; Li Tang; Traci N Billings; Barbara Huber; Basira Mir Makhamad; Barbara Zach

Die Landschaft Innerasiens mag wild und ungezähmt erscheinen; sie ist jedoch das unmittelbare Ergebnis tausender Jahre menschlicher Besiedlung. Die Menschen nutzten das Land für Ackerbau und Viehzucht , holzten die Wälder zur Gewinnung von Brenn- und Bauholz ab und prägten damit jedes vorhandene Ökosystem. Zentralasien weist sowohl räumlich als auch zeitlich eine extreme ökologische Variabilität auf; mit zunehmender paläoökologischer Untersuchung wird deutlich, dass der Mensch eine direkte Rolle bei der Gestaltung dieser Variabilität gespielt hat. In den vergangenen Jahrtausenden haben sich die Menschen an die Vielfalt und Unberechenbarkeit der Region angepasst und dabei die Landschaft nachhaltig verändert. Die Daten zeigen, wie biologisch unterschiedlich die Ausläufer Zentralasiens in ihrer Vergangenheit einmal waren; die Wälder, die einst einen großen Teil des Ökotons der Ausläufer bedeckten, spielten eine wichtige Rolle bei der frühen menschlichen Besiedlung. Diese Wälder mit wilden Früchten und Nüssen dienten den frühen Siedlern zur Nahrungssuche und als Jagdgründe während die reichhaltigen ökologischen Bereiche in den Flusstälern lagen und immer noch der Schlüssel der Weidewirtschaft sind. Darüber hinaus stammen viele der uns heute vertrauten Obst- und Nussarten wie Apfel und Pistazie aus diesen heute weitgehend verschwundenen Strauchwäldern.

Durch die Erforschung von Archäologie und der Paläoumwelt Zentralasiens wird immer deutlicher, wie eng der Mensch mit der Entwicklung der Landschaft verflochten war. Die allmähliche Entwaldung der Gebirgsausläufer Zentralasiens scheint eine Intensivierung der menschlichen Wirtschaft widerzuspiegeln, insbesondere die intensive Metallverhüttung in der Umgebung. Seit dem vierten Jahrtausend v. Chr. hat der Mensch die Landschaft Zentralasiens stets weiter geformt, indem er Land für Viehweiden rodete, Flusstäler für die Landwirtschaft öffnete und Holz für Brenn- und Bauholz gewann. Die biotischen Landschaften Zentralasiens sind ein direktes Artefakt des prähistorischen Menschen, dessen anthropogene Ökosysteme  einen wichtigen Teil der Geschichte der Seidenstraße veranschaulichen.

Die ersten Bauern Innerasiens

Projektmitglieder: Robert N. Spengler III; Madelynn von Baeyer; Rita Dal Martello; Kseniia Boxleitner; Li Tang; Traci N Billings; Barbara Huber; Basira Mir Makhamad; Barbara Zach

Die populäre Vorstellung von Innerasien als einem Reich von berittenen Kriegernomaden durchdrang die wissenschaftliche Literatur fast ein Jahrhundert lang und hat dabei die Art der von Wissenschaftler*innen gestellten Forschungsfragen bestimmt. Teilweise aufgrund der allgemein akzeptierten Vorstellung, dass die Menschen in diesem Teil der Welt ‚Nomaden‘ waren, haben archäobotanische Methoden weitgehend gefehlt. Während Archäologen die landwirtschaftlichen Systeme in den alten sesshaften Agrargebieten im südlichen Zentralasien (Turkmenistan, Tadschikistan und Usbekistan) untersucht haben, die bis ins sechste Jahrtausend v. Chr. zurückreichen, wurde der Rolle der Landwirtschaft in der Wirtschaft der Menschen im östlichen Kasachstan und im westlichen China in der Vergangenheit wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Warum sollte man sich mit der Landwirtschaft befassen, wenn man bereits weiß, dass diese Menschen Viehzüchter waren? Seit 2006, als die archäobotanischen Untersuchungen im östlichen Kasachstan zunahmen, leitet Spengler das Programm First Farmers of Inner Asia.

Infolge dieses zunehmenden Forschungsschwerpunkts wird immer deutlicher, dass domestiziertes Getreide in der Region mindestens seit dem dritten Jahrtausend v. Chr. bekannt war und dass Mitte des zweiten Jahrtausends v. Chr. eine gemischte agropastorale Wirtschaft existierte. Innerasien war nicht nur der Knotenpunkt der antiken Welt, sondern auch ein Zentrum der Innovation und kulturellen Entwicklung; in diesem Sinne trägt das Verständnis der Art der frühen Wirtschaft in der Region direkt zu unserem Verständnis der Vorgeschichte der Alten Welt bei.

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