"Das Erbe der Milchbakterien"

Jahresspendenprojekt 2017 der MPG geht an Jessica Hendy und Christina Warinner

15. November 2016

Dr. Jessica Hendy (Abteilung Archäologie) und Dr. Christina Warinner (Abteilung Archäogenetik) erhalten für ihr interdisziplinäres Projekt zur Entwicklungsgeschichte von Milchprodukten und deren Auswirkungen auf das menschliche Genom rund 200 000 Euro Förderung aus den Spendengeldern der Fördernden Mitglieder der Max-Planck-Gesellschaft. Ziel des interdisziplinären Projekts von Hendy und Warinner ist es, die mikrobielle Vielfalt in traditionell hergestellten Milchprodukten in Europa und Asien zu erforschen und die Archäologie und Kulturgeschichte der Molkerei in diesen Regionen zu beleuchten.

In den modernen Gesellschaften des 21. Jahrhunderts genießen Mikroorganismen und Bakterien keinen guten Ruf. Dabei spielen sie eine zentrale Rolle in unserem alltäglichen Leben, denn ohne Hefen und Bakterien gäbe es eine Vielzahl unserer beliebtesten Lebensmittel wie Brot, Käse oder Bier gar nicht. Insbesondere die Herstellung von Milchprodukten bedient sich einer immensen Bandbreite unterschiedlicher Bakterien, die ihrerseits für die unverwechselbaren Geschmäcker, Texturen und Aromen sorgen.

Über die Ursprünge und Geschichte der Milchbakterien wissen wir bisher nur wenig. Dabei eignet sich die Erforschung der Geschichte dieser Bakterien hervorragend dazu, neue Erkenntnisse über die menschliche Kultur- und Entwicklungsgeschichte zu gewinnen: Wann und wo begann der Mensch, Milch in seinen Speiseplan zu integrieren und systematisch Milchprodukte zu erzeugen? Wann und wie entwickelte der moderne Mensch die Fähigkeit, Milch zu verdauen (Laktase-Verträglichkeit), und welche Rolle haben Mikroorganismen und Milchbakterien dabei gespielt? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt es zwischen verschiedenen Regionen der Welt?

Infolge von Industrialisierung und globaler Lebensmittelproduktion erleben wir aktuell das rasante Verschwinden vieler traditioneller Methoden der Erzeugung von Milchprodukten. Damit geht eine Art „mikrobielle Ausrottung“ vieler der althergebrachten Milchbakterien-Stämme einher, die für künftige Forschung und Nutzung unwiederbringlich verloren sein werden. 

Das vorliegende Projekt zum „Erbe der Milchbakterien“ möchte dieser Entwicklung entgegenwirken, indem die noch in traditioneller Erzeugung von Milchprodukten eingesetzten Bakterien in drei Weltregionen – Europa (Deutschland), Zentralasien (Mongolei) und dem Mittleren Osten (Jordanien) – identifiziert und auf ihren Nährwert hin untersucht werden. Anschließend werden diese traditionellen „Erbbakterien“ genetisch weiteruntersucht, kultiviert und in mikrobiellen „Kulturbanken“ aufbewahrt, wo sie für künftige Studien und Verwendungen gespeichert bleiben werden.

Darüber hinaus untersucht das Projekt die Rolle von Milchprodukten in der Entwicklungsgeschichte des Menschen in den drei unterschiedlichen Weltregionen. So sollen Erkenntnisse darüber gewonnen werden, wie (Ess)Kultur und Genetik sich wechselseitig durchdrungen haben und welche Rolle Mikroorganismen bspw. in der genetischen Entwicklung von Laktose-Verträglichkeit gespielt haben. Um diesen Aspekt zu erforschen kommen jüngste Innovationen in der archäologischen Forschung, insbesondere neue Technologien zum Nachweis von Milch- und Proteinspuren in uralten Zahnstein- und Gegenstandsfunden, zum Einsatz. Diese Spuren werden anschließend untersucht, um zu verstehen, wie und warum Milch und Milchprodukte so erfolgreich das menschliche Genom in vielen Regionen der Welt verändert haben.

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