Eine Million Künstler können in der Kulturevolution nicht irren

Ein gemeinschaftliches Kunstprojekt auf der Internetplattform Reddit enthüllt die Struktur kultureller Veränderung

5. September 2018
Wissenschaftler, die die Entstehung und Evolution graphischer Codes erforschen, haben sich der beliebten Internetplattform Reddit zugewandt, um zu untersuchen, wie sich Kultur entwickelt. Nachdem ein Online-Kunstprojekt auf Reddit über eine Million Teilnehmerinnen und Teilnehmer angezogen hatte, sahen Thomas Müller und James Winters von der Minds and Traditions (Mint) Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena darin eine Gelegenheit, die Dynamik kultureller Veränderung zu erforschen.

Reddit hatte für drei Tage eine digitale „Leinwand“ eröffnet, auf der jeder Nutzer in einer gewissen Zeitspanne nur ein einzelnes Pixel platzieren konnte. Die Leinwand füllte sich schnell mit Tausenden von Bildern. Kleine Gruppen mussten lernen zusammenzuarbeiten oder rivalisierende Teams zu verdrängen. In einem heute in PLOS ONE veröffentlichten Artikel haben die Wissenschaftler gezeigt, dass die Leinwand mit der Zeit strukturierter wurde und dass die Kunstwerke zum Überleben mehr und mehr voneinander abhängig wurden, besonders als der Platz auf der Leinwand knapp wurde.

Die Ergebnisse bekräftigen die Sichtweise, dass kulturelle Veränderung einer Logik folgt, die biologischer Anpassung ähnelt. Erfolgreiche Individuen sind gut darin, ihre Territorien zu verteidigen, aber Kooperation ist der Schlüssel zum Erfolg. „Es ist ein wenig wie bei Bakterien in einer Petrischale“, sagt der Autor Thomas Müller. „Mit begrenztem Platz und Ressourcen bilden die Kunstwerke letztendlich eine Art stabiles Ökosystem.“

Aber genauso wie die Natur kann auch die Kultur grausam sein. Das Zugehörigkeitsgefühl der Internetnutzer auf vielen Kunstwerken sehr deutlich zu erkennen, die von trotzigen Nationalsymbolen dominiert wurden. Australier, Esten, Inder, Amerikaner und viele andere setzten ihre Flaggen und verteidigten ihr digitales Territorium mit Gespür und Enthusiasmus.

Am Ende des ersten Tages brach ein „Krieg“ zwischen den Zeichnungen der deutschen und französischen Flagge aus, der jedoch später mit einer Allianz und der Konstruktion der EU-Flagge auf dem umstrittenen Gebiet beigelegt wurde. „Es ist ein schönes Beispiel dafür, wie sich die Koexistenz rivalisierender Gruppen in adaptiven graphischen Strukturen widerspiegelt“, sagt dazu James Winters. „Als ob man sagen würde ‚Wir kommen getrennt besser aus als miteinander, aber wenn du einen Teil von mir beschützt und ich einen Teil von dir, werden wir insgesamt beide sicherer sein.‘

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